Das Ende des Abendmahlstreits

1973 schrieben die protestantischen Kirchen Europas im Kanton Baselland Kirchengeschichte: Sie beschlossen Kirchengemeinschaft. Dies vereinfacht seither vieles zwischen den Kirchen in der Nachfolge von Zwingli und Luther.

 

Von Karin Müller/Kirchenbote |  22.02.2023

Beim Verständnis des Abendmahls waren sich die Reformatoren Zwingli und Luther uneinig. Im Bild: Ein lutheranisches Abendmahl. Bild: KNA/Jörg Loeffke

Die Ökumene zwischen den Katholik:innen und den Reformierten in der Schweiz scheitert beim Abendmahl. Die theologischen Standpunkte scheinen unvereinbar. Dass auch Reformierte, Lutheraner:innen und andere evangelische Christ:innen erst seit 50 Jahren gemeinsam das Abendmahl feiern, ist weniger bekannt. Am 16. März 1973 verpflichteten sich die evangelischen Kirchen Europas zu gegenseitiger Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Dieser historisch bedeutungsvolle Akt fand auf dem Leuenberg statt, damals Tagungsort der reformierten Kirche Baselland. Hier erarbeiteten die Kirchenvertreter die Übereinkunft, genannt «Leuenberger Konkordie».

Einen alten Streit beigelegt

Mit dem Dokument legten die Kirchen nach über 400 Jahren einen innerprotestantischen Streit bei, der auf Zwingli und Luther zurückgeht. Die beiden konnten sich auch bei ihrem einzigen Treffen 1529 nicht einigen, wie das Abendmahl zu verstehen ist. Luther lehrte, dass Christus im Brot und Wein physisch real gegenwärtig sei, während Zwingli im Brot und Wein Zeichen der spirituellen Gegenwart Christi sah.

«Die innerprotestantischen Verwerfungen waren heftig, bis zu gegenseitiger Verurteilung und Verdammung», erklärt Reinhold Bernhardt, Professor für Systematische Theologie / Dogmatik an der Theologischen Fakultät Basel. Bis ins 20. Jahrhundert sei die Abgrenzung beim Abendmahl vergleichbar gewesen mit der heutigen zwischen katholischen und evangelischen Christ:innen.

Aufbruchsstimmung nach dem Krieg

Die Leuenberger Übereinkunft könne man nicht an einem konkreten Anlass festmachen, sagt Bernhardt. Die Zeit sei einfach reif gewesen für eine Annäherung. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Ökumene Fahrt aufgenommen. «Es herrschte Aufbruchsstimmung und innerhalb der evangelischen Kirchen konnte und wollte man sich eine solche Trennung nicht mehr erlauben. Man besann sich darauf, was das Evangelischsein ausmacht. Die Leuenberger Konkordie ist eine verbindliche Erklärung der Kirchen, Kirchengemeinschaft auf europäischer Ebene zu vertiefen und langfristig zu verwirklichen.»

Neben dem gemeinsamen Abendmahl anerkennen die Kirchen seit 1973 gegenseitig ihre Ordinationen. So können lutherische Theolog:innen oder auch Pfarrpersonen der Waldenserkirche ein Pfarramt in einer Schweizer Kirchgemeinde übernehmen. Dass etwa der deutsche Lutheraner Johannes Block in Zürich zum Fraumünsterpfarrer gewählt wird, wäre zuvor nicht möglich gewesen, so Bernhardt.

Einheit in versöhnter Vielfalt

Doch es gibt nach wie vor Unterschiede: Die Evangelische Kirche Schweiz schreibt keine Verpflichtung auf einen bestimmten Bekenntnistext vor, im Gegensatz zu allen anderen evangelischen Kirchen. Bisher scheiterten sämtliche Versuche, das Bekenntnis in der Liturgie einzuführen, am helvetischen Freiheitsgefühl.

«Da liegen Welten dazwischen.»
Reinhold Bernhardt

Die Leuenberger Grundidee sei es, diese Verschiedenheiten bestehen zu lassen und sich auf das zu einigen, worin man übereinstimmt, theologisch wie praktisch, sagt Bernhardt. «Man einigt sich auf das Wesentliche, denn die Verschiedenheit ist auch ein Reichtum und darf bestehen bleiben.»

Darum heisst der Leitsatz der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE «Einheit in versöhnter Vielfalt». Die GEKE hiess bis 2003 «Leuenberger Kirchengemeinschaft». Heute zählt sie 94 Mitgliedskirchen aus fast allen Ländern Europas und vertritt rund 50 Millionen Protestant:innen aus den reformierten, lutherischen, unierten, methodistischen und anderen evangelischen Kirchen. «Man fühlt sich heute als eine evangelische Kirche in verschiedenen Ausprägungen», betont Reinhold Bernhardt.

Gespräche über heisse Themen

Der gemeinsame Weg gestaltet sich nicht immer einfach. Neben dem Selbstverständnis der Kirchen unterscheiden sich die politischen Kontexte. Die evangelischen Kirchen in Ungarn seien mit anderen Fragen konfrontiert als etwa die Kirchen in Skandinavien oder die kleine Waldenserkirche in Italien, erklärt der Theologe. «Da liegen Welten dazwischen.» Selbst bei der Frage, ob Frauen das Pfarramt ausüben können, gibt es abweichende Meinungen, erst recht aber bei der Beurteilung von Homosexualität oder bei der gleichgeschlechtlichen Ehe. Für diese «heissen Themen» schaffe die GEKE Gesprächsplattformen.

Die GEKE verfolge heute drei Ziele, so Bernhardt. Sie wolle erstens die evangelische Kirchengemeinschaft vertiefen, zweitens nach einer Annäherung an die nichtevangelischen Kirchen wie der katholischen und der anglikanischen streben und drittens den evangelischen Glauben in der Welt bezeugen und praktizieren.

Erstpubliktation im Kirchenboten