Den Optimismus nie verloren

Die Luzernerin Bea lebte einst auf der Gasse. Dank Angeboten der kirchlichen Gassenarbeit konnte sie ihren Optimismus stets behalten. 
Ein Gespräch über Wertschätzung.
 

Von Fleur Budry |  30.05.2023

Sie möchte Stimme sein für diejenigen, die nicht so eine «grosse Klappe» haben wie sie: Bea beim Gespräch im Café Salü in Luzern. Bild: Feur Budry

Bald geht es wieder los. Sobald die Vögel anfangen zu pfeifen, kann sie es kaum erwarten. Bea (63) kommt aus einer Schaustellerfamilie und ist bereits in der vierten Generation im Geschäft tätig: Bahnen, Spielzeug, Schiessbude, viel Blingbling und Ballone. «Das ist ein Leben, das musst du im Blut haben.» Das Funkeln in ihren Augen ist nicht zu übersehen, sie erzählt mit einer ansteckenden Begeisterung vom Chilbi-Leben. Und vor allem erzählt sie von ihrer Familie. Denn sie ist das Wichtigste in Beas Leben.

Mit Bibel und Honigmilch

Als junge Frau war Bea auf dem Letten unterwegs, dem Treffpunkt und Umschlagplatz der Zürcher Drogenszene in den 90er-Jahren. Was andere in zehn Jahren konsumierten, habe sie sich in nur einem reingezogen. Bea hat drei Kinder und lebte damals mit ihrem zweiten Mann in Zug. Bis die Kinder eben wegen des Drogenkonsums der Eltern nach Luzern ins Heim kommen. Bea schläft zeitweise auf dem Bänkli draussen vor dem «Titlis­blick», damit sie ihre Kinder wenigstens hören kann. Ein langer Prozess beginnt für die gläubige Frau, bei dem sie sich vor allem in Geduld üben muss und dem Heroin «mit Honigmilch und der Bibel» den Kampf ansagt. Irgendwann schafft sie es. Und hat nach zehn Jahren ihre Kinder wieder. 

 

«Ich frage mich manchmal: Wie kann man so viel Scheisse bauen und doch so viel Glück haben?»Bea 

Heute wohnt Bea in der Baselstrasse in Luzern. Das ist ihr Zuhause, hier fühlt sie sich wohl. Ihre beiden Männer sind schon vor Langem gestorben, einen neuen will sie nicht. Auf ihre Kinder ist sie sichtlich stolz und darauf, was diese alles geschafft haben. Zwar sei sie alleinerziehend, aber einsam war sie deswegen nie: «Meine Familie stand immer hinter mir. Und dann war da das Paradiesgässli» (siehe Kasten). Mit dieser damals neuen Anlaufstelle des Vereins Kirchliche Gassenarbeit in Luzern hatte Bea auch ein wertschätzendes Umfeld gewonnen. Sie hatte eine Begleitperson an ihrer Seite. «Da kam eine Ruhe ins Ganze.»

Da sein und gesund bleiben

Bea hat viel erlebt, und sie ist noch daran, «am Wiedergutmachen», wie sie sagt. Bei ihren Kindern, in ihrem Leben. Für diese Chance sei sie unglaublich dankbar. Und sie wünscht sich, «einfach noch ein bisschen da sein zu dürfen, gesund zu bleiben». Den Optimismus habe sie nie ver­loren. Bea beschreibt sich weiter als hilfsbereit, konsequent und schätzt sich glücklich: «Wie kann man so viel Scheisse bauen und doch so viel Glück haben?», fragt sie sich manchmal. 

Geben und Nehmen

Wertschätzung sieht sie klar als gegenseitiges Geben und Nehmen. Im «Paradiesgässli» im Maihofquartier Luzern kocht sie ehrenamtlich. Sie sei mit dem Ort verbunden, und doch stehe ein Abschied bevor, denn ihre Kinder sind inzwischen alle erwachsen. In der GasseChuchi (siehe Kasten) geht Bea noch ein und aus, und auch wenn sie zu den älteren Besucherinnen gehört, sieht sie sich «in der Rolle der Schwester. Also die Mama bin ich hier nicht», behauptet sie und lacht. Aber man dürfe gerne auf sie zukommen. Sie möchte auch Stimme sein für diejenigen, die nicht so eine «grosse Klappe» hätten wie sie. «Die habe ich von der Chilbi her.» Den Menschen damit helfen, wieder ein bisschen mehr in der Mitte der Gesellschaft zu stehen. Und sei es nur für die Länge eines Liedes.

Bea musste sich schon von vielen Menschen verabschieden im Leben und singt im neuen Chor der Gassenarbeit, den sie für die jährliche Gedenkfeier mitinitiiert hat. Der Chor ist daran, sein Repetoire zu erweitern, und damit auch die Auftrittsmöglichkeiten. Wertschätzung erfahrbar machen, auf mehreren Ebenen. Wo sie sich selber sieht in der Gesellschaft? «Ich bin zmitzt im Puff. Immer in der Mitte.»

Mahlzeit und Medizin

Der Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern hilft sucht- und armutsbetroffenen Menschen aus der Zentralschweiz. In der «Gasse­Chuchi» erhalten sie täglich eine ausgewogene Mahlzeit, medizinische und allgemeine Beratung. Hier können mitgebrachte Drogen unter hygienischen Bedingungen konsumiert werden. Im «Paradiesgässli» erhalten Familien, die von Sucht und Armut betroffen sind, Unterstützung, Fachleute beraten und begleiten Mütter und Väter mit  Suchtproblemen. Weitere Angebote sind die Einkommens- und Sozialberatung, Seelsorge und Drogeninformation. Der Verein wird von den drei Landeskirchen von Stadt und Kanton Luzern getragen.