«Der Nahost-Konflikt ist nicht religiös»
Die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser engagiert sich in der Bildungsarbeit für Frieden in Nahost. Ein Gespräch über die Situation in Gaza, Religion und die Rolle des Papstes.
«Israelis und Palästinenser:innen sind Opfer ihrer eigenen Politik», sagt Sumaya Farhat-Naser. | Bild: zVg
Die Uno-Generalsversammlung hat Ende September für eine Wiederbelebung der Zweistaatenlösung gestimmt, 150 Staaten anerkennen einen Staat Palästina. Was bedeutet das für die Palästinenser:innen?
Die Anerkennung des Staates Palästina ist wichtig, weil das für uns ein Signal ist, dass die Staaten endlich unsere Rechte anerkennen. Zugleich haben diese Staaten das Gefühl, etwas zu tun. Die Anerkennung des Staates Palästina muss bedeuten, alles zu tun, damit der Staat verwirklicht wird.
Was könnte die Weltgemeinschaft aus Ihrer Sicht tun?
Die Welt schweigt und lässt diesen Krieg zu. Die USA und Europa machen sich damit mitverantwortlich für diese Katastrophe. So wie sich die Menschen auf der Strasse gegen den Krieg stellen, müssten die Regierungen dafür sorgen, dass der Krieg gestoppt wird, durch Sanktionen, ein Verbot von Waffenlieferungen und durch Aussetzen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Sie sind Christin. Was bedeutet Ihnen Ihr Glaube?
Der Glaube ist mir eine Quelle der Kraft und Hoffnung. Er ist die Stütze, die das Leben erhält. Der christliche Glaube deckt sich zu weiten Teilen mit dem jüdischen und dem muslimischen Glauben. Wir ergänzen uns. Die Differenzen lehren uns, dass Unterschiedlichkeit normal und bereichernd ist.
Jesus war Jude. Fühlen Sie sich deswegen im Dilemma?
Jesus war Jude und Palästinenser. Warum soll da ein Dilemma sein? Unser Konflikt ist nicht religiös, darf nicht religiös werden. Unser Dilemma heute ist, dass die Politik von rechtsradikalen Religiösen in Israel gemacht wird, die ihre Politik als ein Gebot Gottes deuten.
Was verbindet Israelis und Palästinenser:innen aus Ihrer Sicht?
Beide Völker sind Opfer der eigenen Politik. Alle leiden unter derselben Sache und wollen eigentlich dasselbe: Freiheit im eigenen Staat, Sicherheit und Frieden.
Lässt sich auf diesen Gemeinsamkeiten eine Vision für die Zukunft aufbauen?
Wenn wir uns als gleichwertige Menschen verstehen und einander dieselben Rechte zugestehen, und wenn wir das gemeinsam beschliessen, weil wir es wollen, dann wird es auch Realität werden.
Gelingt es Ihnen, hoffnungsvoll zu bleiben?
Ich habe keine andere Wahl als zu glauben und zu hoffen. Ich ermutige mich dranzubleiben und andere mitzuziehen. Zusammen schaffen wir es.
Das Interview wurde am 30.9. schriftlich geführt; Erstpublikation im Pfarrblatt Bern
Farhat-Naser spricht in Luzern
Sumaya Farhat-Naser (76) ist christliche Palästinenserin und lebt im Westjordanland. Sie hat in Deutschland Biologie, Geografie und Erziehungswissenschaften studiert und widmet sich seit Jahrzehnten der Friedensarbeit. Farhat-Naser hat Bücher über die Hintergründe des Nahostkonflikts geschrieben und hält regelmässig Vorträge im deutschsprachigen Raum. So tritt sie an einem Vortrags- und Gesprächsabend auf, der in der «Woche der Religionen» am 6. November in Luzern stattfindet (19 Uhr, «MaiHof», Eintritt frei)
Die «Woche der Religionen» ist eine Veranstaltungsreihe in der ersten Novemberwoche in der ganzen Schweiz. Sie ermöglicht Begegungen zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit sowie Konfessionsfreien. Rund 100 Veranstaltungen laden zu Begegnungen und Dialog ein. Im Kanton Luzern steht die Woche unter dem Motto «Miteinander auf dem Weg». In Luzern steht etwa auch eine interreligiöse Friedensfeier auf dem Programm.