Des Christkindleins Nachtwächter

In der Weihnachtsnacht halten im Schongauer Weiler Rüedikon jeweils zwei Männer Wache. Die Korporation pflegt diesen jahrhundertealten Brauch. Rund um ihre Kapelle lebt das Dorf – nicht nur an Weihnachten.

Von Dominik Thali |  14.12.2021

René Bremgartner, Präsident der Korporation Rüedikon, vor der Kapelle St. Agatha. In der Hand hält er die Hellebarde für die Weihnachtswache. Bild: Dominik Thali

An Heiligabend, wenn die Glocken zur Mitternachtsmesse läuten, holen die zwei Wächter beim Präsidenten der Korporation Hellebarde und Laterne ab und begeben sich auf ihren Rundgang.  Sie ziehen von Hof zu Hof und
 bezeugen nach ihrer Rückkehr handschriftlich ins alte Protokollbüchlein, dass in dieser Christnacht in Rüedikon alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Danach stellen sie die Hellebarde wieder für ein Jahr in den Schrank.

Zwielichtiges Volk

Worauf die Weihnachtswache zurückzuführen ist, sei letztlich «nicht so ganz klar», sagt Korporationspräsident René Bremgartner. Ihren Ursprung muss sie in den alten Zeiten haben, als die Rüedikoner noch nach Hitzkirch pfarrgenössig waren. Weil der Weg z Chele dorthin weit ist und das Dorf während des Kirchgangs fast menschenleer dalag, richteten die Rüedikoner einen Wachdienst ein.

«Die Männer wirkten als Brandwache, aber auch Hab und Gut waren ihnen anvertraut», schreibt Redaktor Martin Merki (1931–2014) im «Vaterland» vom 24. Dezember 1986. In der «Seetaler Brattig» des gleichen Jahrgangs erzählt Autor Josef Rüttimann (*1940), die zwei Wächter hätten jeweils, mit Hellebarden bewaffnet, Ausschau halten müssen «nach Tagedieben und anderem zwielichtigen Volk».

Der Bitte der Rüedikoner an die Gnädigen Herren in Luzern, sie aus der Pfarrei Hitzkirch zu entlassen und Schongau zuzuteilen, wurde schliesslich 1808 stattgegeben. Sie durften fortan die Messe in Oberschongau besuchen, aber nur die bei Beginn des Gottesdienstes leer gebliebenen Bänke benützen. An Ostern, Pfingsten und Weihnachten mussten sie weiterhin nach Hitzkirch z Chele und zudem bei Beerdigungen jedesmal in Schongau um Erlaubnis fragen. Der in den Annalen als «Schongauer Kirchenstreit » aufgeführte Zwist galt damit als beigelegt. Vergangene Zeiten… Längst ist man da wie dort froh um jeden Rüedikoner im Gottesdienst. Nicht nur auf den hinteren Bänken.

Tradition verpflichtet

Der Wachdienst blieb damals aber trotz des obrigkeitlichen Entgegenkommens bestehen. Der Dorfbrand von 1822, bei dem sieben Häuser eingeäschert wurden, dürfte die Rüediker darin bestärkt haben. Doch als 1934 in Schongau die Frühmesse eingeführt wurde, stellte Rüedikon den Wachdienst ein, wie das «Vaterland» weiter festhält. Beibehalten wurde nur die Wache am Weihnachtsabend.

René Bremgartner nimmt das zerfledderte Büchlein hervor, in das sich die Wachhabenden jeweils eintragen. Es reicht bis ins Jahr 1892 zurück. Vor ein paar Jahren fragte er die Mitglieder der Korporation, was sie zur Weihnachtswache meinten. Abschaffen? Nein, das wollte niemand. Tradition verpflichtet.

In dieses Büchlein tragen sich die Nachtwächter seit 1892 ein. | Bild: Dominik Thali

Auf die Wacht gehen laut Satzungen seit jeher nur Männer, die der Korporation angehören, in Rüedikon leben und dort auf der gleichen Strassenseite wohnen. Sie werden jeweils an  der Generalversammlung bestimmt, die in der Woche von Sankt Agatha stattfindet. Ihr ist die 1807 erbaute Kapelle im Weiler geweiht, die zum Besitz der Korporation gehört.

In der Not auch Frauen

Wobei: Vor drei Jahren fassten erstmals zwei Frauen Hellebarde und Laterne. «In der Not», lacht Bremgartner. Am Kerzen-Mandarinli, das in jener Nacht vor jeder Haustür leuchtete, freuten sich dann aber alle. Sowieso: Man müsse «nicht alles so ernst nehmen », findet Bremgartner, und Gemeinschaft lebe vom Tun. «Wir pflegen eine Tradition, aber auch das Beisammensein», sagt Bremgartner. Das heisst zum Beispiel: Bis unterschrieben wird, kann es auch mal drei Uhr morgens werden. Oder vier.

Zwecks Pflege der Gemeinschaft führte die Korporation vor vier Jahren einen neuen Brauch ein. Seither steht auf dem Dorfplatz im Dezember eine mindestens acht Meter hohe Tanne aus dem eigenen Wald. «Schon das Fällen ist jeweils ein Höhepunkt. Da helfen viele mit», sagt Bremgartner. Nach dem Aufstellen gibts Fondue aus dem Chessi, Rüedikon trifft sich.

Seit einigen Jahren leuchtet vor der Kapelle St. Agatha ein Christbaum in die dunkle Nacht. | Bild: Manuela Zumbach

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Neueren Datums ist auch das Bänkli beim Brunnen vor der Kirche. Seitdem es dieses gibt, machen viele Wanderer und Velofahrer vor der Kapelle Pause. Seit einem Jahr steht in dieser zudem ein Cherzli-Gestell. Das bringe viel Volk auch in die Kapelle, stellt Bremgartner fest, der gleich daneben wohnt. Und zudem ein paar Franken in die Kasse für die bald notwendige Renovation. Die letzte liegt fast 50 Jahre zurück.

Vielleicht hilft nächstens ein Konzert, Mittel dafür zu äufnen. Der Korporationspräsident schmunzelt. Da sei doch letzthin ein Mann auf einem Töff vorgefahren, der sich im Gespräch als Sänger entpuppt und die Akustik in der Kapelle über alle Massen gelobt habe. «Wir wüssten gar nicht, was wir da Tolles hätten, meinte er.»

René Bremgartner solls recht sein: «Das ist doch das Schöne, das Miteinander », meint er. Gut möglich also, dass auch heuer nach der Wacht das Licht in seiner Stube noch weit in den Morgen brennt.

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