Die Zeit «zwischen den Jahren»
Die Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigsfest ist von Brauchtum und Ritualen geprägt. Woher kommt der Begriff «Raunacht» und warum räuchern Menschen in dieser Zeit?
Räucherwerk spielt in der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest heute wieder vermehrt eine Rolle. Im Bild: ein Weihrauchfass. | Bild: Gregor Gander
Zwölf Nächte liegen zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest. In vorchristlicher Zeit wurden sie Rau(h)-nächte genannt und waren mit bestimmten Ritualen verbunden. Auch heute erfreuen sich Rituale in der Zeit «zwischen den Jahren» zunehmender Beliebtheit: In Buchhandlungen und online finden sich Literatur, Kräutermischungen, Räucherkurse oder Raunacht-Events. Doch woher stammen diese Rituale und inwiefern prägen sie auch das Christentum?
In germanischer Zeit berechnete man ein Jahr nach den zwölf Mondmonaten, erfährt man auf katholisch.de. Daraus ergaben sich 354 Tage. Im Vergleich zum Sonnenjahr fehlten also elf Tage oder zwölf Nächte. Daher der Ausdruck «zwischen den Jahren». Man glaubte, die Gesetze der Natur seien in dieser Zeit gleichsam ausser Kraft gesetzt, Dämonen und Geister von Verstorbenen würden über den Himmel ziehen und die Grenzen zu anderen Welten würden fallen. Dass die dunkelste Zeit des Jahres und stürmische Winternächte solche Vorstellungen hervorrufen, erstaunt wenig.
Räuchern als Schutz
Um sich gegen solch unheilvolle Kräfte des Übergangs zu schützen, verbarg man sich «hinter undurchdringlichem Weihrauch», sagt der katholische Theologe und Brauchtumsexperte Manfred Becker-Huberti im gleichen Online-Artikel. Entsprechend führt er den Begriff Raunächte auf Rauchnächte zurück. Andere Quellen sagen, das Wort komme vom mittelhochdeutschen «rûch» für haarig oder pelzig, was sich auf die Darstellung von Dämonen beziehe, die in diesen Nächten umherirren sollen, erklärt das katholische Online-Portal vivat.de.
Haussegnung mit Weihrauch
Aus diesen Vorstellungen entwickelten sich im Alpenraum verschiedene Bräuche. In Tirol war es lange Zeit üblich, in den Raunächten keine Wäsche aufzuhängen, wie tirol.at ausführt. Man befürchtete, die Geister könnten sich darin verfangen. Mehrfach erwähnt wird auch der Brauch, Wünsche für das neue Jahr zu verbrennen. Das Bleigiessen an Silvester und astrologische Vorhersagen in der Regenbogenpresse zeugen davon, dass Menschen bis heute beim Übergang ins neue Jahr ein Bedürfnis nach Orientierung haben.
Auch im Christentum finden sich Spuren dieses Brauchtums. Am meisten verbreitet ist wohl die Haussegnung durch die Sternsinger:innen rund um das Dreikönigsfest. Mancherorts werden die Häuser und Wohnungen auch mit Weihrauch und Weihwasser gesegnet. Im katholischen Kirchengesangbuch findet sich dazu eine Anleitung samt Gebetstexten.
Volksglaube und Kirche
Mancherorts vermischen sich Volksglaube und kirchliches Ritual. Vor allem im Kanton Appenzell Innerrhoden kennt man den Brauch des «Räuchle». Hier ziehen Familien mit einer «Räuchlipfanne» durch die Räume des Hauses, den Stall und um den Hof, wie der Website des Klosters Maria Engel in Appenzell zu entnehmen ist. Im Dorf Appenzell tun dies Ministrant:innen «auf Bestellung», heisst es auf appenzell.ch.
Im Kanton Luzern ist der Brauch in dieser Form nicht verbreitet, wie eine Umfrage unter den Pfarreien und die Recherche in heimatkundlichen Standardwerken ergab. Dennoch erleben die Raunächte und das Räuchern auch hier eine Renaissance. Richard Portmann, Experte für Sagen im Entlebuch, bestätigt, dass vor allem die junge Generation das Räuchern in den Raunächten, aber auch zu anderen Zeiten im Jahr wiederentdecke.
Duft öffnet die Sinne
Auch ohne den Glauben an Geister oder Dämonen eignet sich die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr für viele Menschen, um sich zurückzuziehen und auf das vergangene Jahr zurückzublicken. Das erkennen auch Pfarreien und Pastoralräume. «Zwischen den Jahren nehmen wir uns Zeit, um zu reflektieren, zu danken und mit offenen Sinnen wahrzunehmen», sagt Irene Meyer-Müller, Religionspädagogin und Mitglied einer Vorbereitungsgruppe im Pastoralraum Willisau, zu der auch dessen Leiter Andreas Wissmiller gehört.
Die Gruppe lädt an zwei Abenden zu einem Ritual zu den Raunächten mit «Stille, Feuer und Rauch», wie es in der Ausschreibung im Pfarreiblatt heisst. Der erste Abend ist dem Zurückblicken auf das vergehende Jahr gewidmet. In einer Meditation werden die Teilnehmenden angeleitet, sich schöne, aber auch schwierige Momente nochmals zu vergegenwärtigen, aufzuschreiben und auf Wunsch zu verbrennen. Der zweite Abend begleitet den bewussten Übergang ins neue Jahr: «Auf einem Stövchen verbrennen wir einheimische Kräuter wie Salbei, Holunderblüten oder Wacholder. Der Geruch öffnet nochmals einen anderen Sinn, macht anders aufmerksam», erläutert Meyer-Müller. Die Abende seien eine schöne Gelegenheit, mit Licht und Segen ins neue Jahr zu starten.