Eine Blume wie der Lebensfluss

Für viele religiöse Traditionen aus Asien ist die Lotusblume ein bedeutsames Symbol für Werden und Vergehen. Eine buddhistische Nonne, die im Seetal lebt, erklärt, was es damit auf sich hat.

Von Benno Bühlmann |  14.09.2022

«Der Lotus ist ein Sinnbild für den Lebenszyklus»: Venerable Miaoyi, Nonne im buddhistischen Tempel in Gelfingen. Bild: Benno Bühlmann

Ein strahlend schöner Mittwochnachmittag, kurz nach 15 Uhr: Auf dem Vorplatz zum buddhistischen Tempel in Gelfingen ist das Plätschern des nahen Baches zu hören. Der Weg zum Eingang des Tempels führt an einer Guan-Yin-Statue vorbei, die, auf einer Lotusblume thronend, den Bodhisattva des Mitgefühls darstellt. Unmittelbar davor befindet sich ein Gefäss, wo gläubige Buddhisten bei ihrer Ankunft Räucherstäbchen als Zeichen der Ehrerbietung anzünden.

Die Bodhisattva-Statue ist ein klares Zeichen dafür, dass die hier wohnenden Nonnen sich dem Mahayana-Buddhismus zugehörig fühlen. Denn in dieser buddhistischen Richtung verkörpern die Bodhisattvas Menschen, die selbst die Erleuchtung bereits erlangt haben, sich aber in der einfühlsamen Anteilnahme am Leiden anderer Menschen darum bemühen, auch ihnen auf ihrem Weg zur Erleuchtung zu helfen.

Sie wächst im Schlamm

Im Aufenthaltsraume vor dem Tempel werden wir von der buddhistischen Nonne Venerable Miaoyi herzlich empfangen und gleich zu einem Willkommenstee eingeladen. Etwas später führt uns die Nonne in die farbenfroh ausgestaltete Tempelhalle: Auf dem Altar stehen drei grosse Buddha-Statuen, die an den Gründer der buddhistischen Religion, Siddharta Gautama, erinnern. Nicht zu übersehen sind die zahlreichen Darstellungen von Lotusblumen, die in vielfältigen Variationen auf dem Altar zu entdecken sind. «Gerade beim Vesakh-Fest, das wir in unserem Tempel erst kürzlich in Erinnerung an die Geburt und Erleuchtung Buddhas gefeiert haben, war dieses Symbol wieder präsent», erklärt Miaoyi. «Die Lotusblume symbolisiert für uns Reinheit, Erleuchtung und Wiedergeburt.» Zudem sehe der buddhistische Glaube die Lotusblüte als Buddhas Geburtsort. Eindrücklich sei der Umstand, dass diese Blume in schlammigen Gewässern wachse, aber dank der noppenartigen Struktur der Blütenoberfläche nie schmutzig werde.

Gleichzeitig sei sie ein starkes Sinnbild für den Lebenszyklus des menschlichen Lebens, wie er auch in der Natur immer wieder eindrücklich beobachtet werden könne: So erhebt sich die Lotusblume in den frühen Morgenstunden langsam aus dem Wasser und öffnet ihre grossen und prachtvollen Blüten. Nach Sonnenuntergang zieht sie sich mit geschlossenen Blüten wieder unter die Wasseroberfläche zurück, bis die tägliche Wiedergeburt von neuem beginnt.

Lotusblume fasziniert viele

Dieser wiederkehrende Kreislauf von Ruhe- und Blütephase wie auch die makellose Reinheit der Lotusblume vermochte schon immer Menschen aus verschiedenen religiösen und anderen weltanschaulichen Kontexten zu faszinieren. So ist es kein Zufall, dass die Lotusblume bereits in der altägyptischen Mythologie bei der Geburt des Sonnengottes eine wichtige Rolle spielte. Zu Beginn der Schöpfung wurde der junge Sonnengott in einer Lotosblüte geboren, die aus dem Urozean Nun hervorging. 

Der kleine Buddha wächst aus einer Lotosblüte. | Bild: Benno Bühlmann

Später entwickelte sich die als «Lotos» oder «Lotus» bezeichnete Blume zu einem der wichtigsten spirituellen Symbole des fernöstlichen Kulturkreises, insbesondere für die buddhistischen und hinduistischen Traditionen, wie sie heute auch in Luzern und Umgebung in ihren vielfältigen Ausprägungen anzutreffen sind. 

Es reicht noch zum halben Lotussitz

Bestätigt wird das von Personen, die sich im Umfeld des Luzerner Zen-Lehrers Vanja Palmers in der Stiftung «Felsentor» auf der Rigi engagieren: Othmar Wüest beispielsweise, der am St. Karli-Quai in Luzern das Meditationszentrum «Zendo am Fluss» leitet, sieht im Symbol der Lotusblume viele Entsprechungen zu eigenen Alltagserfahrungen: «Das Leben ist geprägt vom stetigen Auf und Ab, von dunklen Sumpf-Erfahrungen ebenso wie von lichtvollen Momenten, Mitgefühl und Dankbarkeit.» 

Gerade in diesem Spannungsfeld könne die Zen-Meditation eine wertvolle Hilfe anbieten auf der Suche nach einer spirituellen Balance im Alltag. Allerdings könne der berühmte «Lotussitz», der mit der Verschränkung beider Beine der Form einer Lotusblüte nachempfunden ist, nur von wenigen, sehr geübten Meditierenden praktiziert werden. Auch er selber müsse sich da mit dem «halben Lotussitz» zufrieden geben, betont Othmar Wüest. 

Die Lotus-Blütenblätter der Chakras

Nicht nur buddhistische Meditationstechniken, sondern auch die (ursprünglich aus den Hindu-Traditionen stammende) Yoga-Praxis hat einen starken Bezug zum Symbol der Lotusblume. Das unterstreicht auch Myriam Bühler, die seit über 20 Jahren als Yoga-Lehrerin in Horw wirkt. Sie ist überzeugt davon, dass Yoga nicht bloss körperliche Übungen, sondern ganz wesentlich eine spirituell-philosophische Dimension enthält: «In der Yogalehre werden die sieben Energiezentren des feinstofflichen Körpers, Chakras genannt, mit Blütenblättern des Lotus dargestellt. Vom untersten Wurzelchakra mit vier Blütenblättern aufsteigend zum Kronenchakra mit 1000 Blütenblättern.» Die Zahl 1000 repräsentiere die höchste Vollendung und Vollkommenheit. Es gehe darum, sich seines göttlichen Ursprungs bewusst zu werden und tiefen Frieden zu erlangen. Die Vereinigung des individuellen mit dem göttlichen Selbst sei das Ziel der spirituellen Reise, meint Bühler. «Dieses Aufsteigen von der Dunkelheit, der Unwissenheit, ins Licht wird auch im Symbol des Lotus deutlich: Der Lotus wächst im Schlamm und in der Dunkelheit und gelangt schliesslich zu strahlender, reiner Blüte.

Mehr Informationen zur Lotusblume im Buddhismus

Religionsgemeinschaften laden ein

5 Prozent der Luzernerinnen und Luzerner gehören einer der drei Landeskirchen an. Sie sind also katholisch (55,5 Prozent), reformiert (9,3) oder christkatholisch (0,1). Daneben sind im Kanton Luzern aber zahlreiche weitere Religionsgemeinschaften aktiv. Elf von ihnen aus sechs Religionen treten am 28. September zum 5. Mal gemeinsam an die Öffentlichkeit. 
Die Veranstaltung «Unter einem Dach» gibt es seit 2013; sie findet jeweils in der Kornschütte im Rathaus Luzern statt. 

«‹Unter einem Dach› solle zum Ausdruck bringen, dass Religionen und Kulturen sich für gemeinsame Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, Respekt und Vertrauen einsetzen», heisst es in einer Medienmitteilung. Die Veranstaltung will «ein Zeichen für Verständigung und Frieden» sein. Dieses Jahr geschieht dies mit dem Symbol des Baumes.

Das Abendprogramm eröffnet der «Chor der Nationen» Luzern. Mit einem Intermezzo mit Beiträgen aus allen Gemeinschaften endet der gemeinsame Teil. Das Programm entfaltet sich dann an den Ständen der Religionsgemeinschaften. Sie geben Einblick in ihre religiöse Praxis und laden mit kulinarischen Köstlichkeiten aus ihren Herkunftsländern zum Verweilen ein. 

Beteiligte Religionsgemeinschaften

  • Baha’i-Gemeinde Luzern
  • Christkatholische Kirchgemeinde Luzern
  • Eritreisch-Orthodoxe Kirche Luzern
  • Evangelische Allianz Luzern
  • Hindu-Gemeinschaften Luzern
  • IGL – Islamische Gemeinde Luzern
  • International Buddhist Progress Society Luzern
  • Chabad Zentralschweiz (jüdische Organisation)
  • Katholische Kirche im Kanton Luzern
  • Reformierte Kirche Kanton Luzern
  • Rumänisch-Orthodoxe Gemeinschaft Luzern

Mitwoch, 28. September 2022, Kornschütte im Rathaus Luzern, 14.30 Uhr Film zum Veranstaltungsthema und Gespräch; 18.30 Uhr  Eröffnung, bis 21.30 Uhr Abendprogramm; Eintritt frei, Zutritt jederzeit möglich.

luzerner-religionsgemeinschaften.ch