Fliessendes Wasser für die Seele

Hindus übergeben die Asche ihrer Verstorbenen dem fliessenden Wasser. In Luzern gibt es dafür eine Stelle am Reussufer. Hindupriester Saseetharen Ramakrishna Sarma erklärt, wie diese Bestattung vor sich geht.

Von Sylvia Stam |  29.10.2021

Hindupriester Saseetharen Ramakrishna Sarma an der Bestattungsstelle am rechten Reussufer in Luzern. Bild: Sylvia Stam

Was geschieht nach hinduistischem Glauben mit einem Menschen nach seinem Tod?

Saseetharen Ramakrishna Sarma: Wir glauben, dass der Körper des Menschen stirbt, nicht aber seine Seele. Je nach Karma – das ist die Summe all seiner guten und schlechten Taten – wird die Seele in anderer Gestalt wiedergeboren. Wir hoffen, dass un­sere Taten so gut waren, dass die Seele nicht mehr wiedergeboren wird.

Zur Bestattung gehören viele Opfergaben. Was wird geopfert und welche Funktion haben diese Opfer?

Die Angehörigen opfern Speisen, welche die verstorbene Person gerne hatte. Das können Früchte sein, Reis oder Milch. Wir glauben, dass ihre Seele dadurch glücklich wird.

Wie geht das Bestattungsritual vor sich?

Der Leichnam wird normalerweise am zweiten Tag nach dem Tod verbrannt. Am ersten oder dritten Tag nach der Verbrennung wird die Asche in der Urne an den Fluss genommen und mit Milch bespritzt. Ist der Verstorbene ein Mann, steigt sein ältester Sohn, bei einer Frau der jüngste Sohn weiss gekleidet bis zu den Knien in den Fluss und verstreut die Asche. Wenn keine Kinder vorhanden sind, entscheiden die Angehörigen, wer dies tut. Anschliessend übergibt die Person auch die Opfergaben dem Wasser. Schliesslich bespritzt sie sich als Zeichen der Reinigung mit Wasser.

Weshalb wird die Asche in einem Fluss verstreut?

Wichtig ist fliessendes Wasser. Im hinduistischen Glauben gehen wir davon aus, dass sich die Seelen der Verstor­benen dadurch beruhigen und ihren Weg ins Paradies finden.

Gibt es nach der Bestattung weitere Rituale?

Wir glauben, dass die Seele eines oder einer Verstorbenen während einem Jahr etwas von den Angehörigen erwartet. In der Schweiz zünden die Angehörigen des oder der Verstorbenen während 30 Tagen zu Hause Öllampen an und stellen Speisen und einen Becher Wasser bereit. Am 31. Tag feiert der Priester mit ihnen ein grosses Trauerritual. Dieses wird während einem Jahr jeweils nach den beiden Mondphasen wiederholt. Schliesslich folgt nochmals ein Ritual zum Jahresgedenken.

Am Ufer der Reuss

Im Kanton Luzern leben rund 1700 Hindus, die meisten von ihnen sind Tamil*innen. Sie haben je einen Tempel in Gisikon-Root und in Emmenbrücke. Letzterem steht Saseetharen Ramakrishna Sarma (*1969) als Priester vor. Er lebt seit 1992 in der Schweiz und ist für die Organisation der Bestattungen zuständig.

2012 gab die Stadt Luzern eine Stelle am rechten Reussufer in der Nähe der Kirche St. Karl frei, damit Hindus aus der Stadt die Asche ihrer Verstorbenen dort verstreuen können. Dies geschieht jährlich rund zehnmal. Für Hindus aus dem Kanton wird noch nach einer Lösung gesucht.