«Für Leo ist KI kein Teufelswerk»
Papst Leo XIV. ist Amerikaner, Mathematiker, jung und fit. Was das für sein Pontifikat bedeutet, erklärt Mario Galgano (45). Der Schweizer Redaktor bei Vatican News hat ein Buch über den neuen Papst verfasst.

Mario Galgano, Schweizer Redaktor bei Vatican News, in einer persönlichen Begegnung mit Papst Leo XIV. | Bild: Vatican Media
Sie arbeiten bei Vatican News. Woran merken Sie bei Ihrer Arbeit, dass ein neuer Papst am Ruder ist?
Mario Galgano: Einerseits merkt man das an den Äusserlichkeiten. Er präsentiert sich anders als sein Vorgänger. Die ersten 100 Sekunden des Auftritts eines neuen Papstes zeigen oft auf, was wir für ein Pontifikat erleben werden. Papst Franziskus erschien mit weisser Soutane und sagte «Buonasera». Papst Leo trat mit der roten Stola, der sogenannten Mozzetta, auf den Balkon und trug einen Text vor. Seine ersten Worte waren: «Der Friede sei mit euch.» Schon in den ersten 100 Sekunden wurde deutlich: Das ist eine andere Persönlichkeit.
Ihr Buch vermittelt den Eindruck, die beiden tickten sehr ähnlich. Gibt es dennoch Unterschiede?
Leo ist nordamerikanischer, während Franziskus eher der Südamerikaner war, der eine gewisse Skepsis gegenüber dem Norden hatte. Leo ist zum Beispiel sehr offen, er versteht auch, dass es nicht nur eine Kultur gibt, nicht nur eine Art zu denken. Franziskus betonte die Ränder der Gesellschaft. Auch für Leo gibt es die Ränder, aber es gibt auch das Zentrum. Man sollte beide im Blick halten.
Leo kommt selbst aus dem Norden, nämlich aus den USA. Warum ist das so ein Thema?
Ein Konklave ist jeweils eine kleine Revolution, so auch diesmal. Seit dem Mittelalter wurde niemand Papst, der aus einer Grossmacht stammte, damals etwa kein Spanier oder Franzose. Später konnte kein US-Amerikaner zum Papst gewählt werden, weil die USA eine Weltmacht sind. Man befürchtete, die Kirche würde zu stark eingenommen von der politischen Macht und dadurch einseitig.
Die USA präsentiert sich gerade sehr als Weltmacht. Wie konnte er dennoch Papst werden?
Mit Robert Prevost ist diese Hürde offensichtlich gefallen. Er hat gezeigt, dass er kein Amerikaner ist, der den Säbel schwingt und mit der US-Fahne Machtansprüche geltend macht. Es geht ihm vielmehr darum, Offenheit zu zeigen. Sicherlich kommt hinzu, dass er ein untypischer US-Amerikaner ist, weil er einen Grossteil seines Lebens als Missionar in Peru verbracht hat. Er war zudem lange in Rom. In ihm verschmelzen verschiedene Kulturen, und darin ist er sehr nordamerikanisch.
Der Untertitel Ihres Buches lautet: «Der Papst des Friedens». Leo ist wenige Monate im Amt. Muss er das nicht erst noch unter Beweis stellen?
Ja und nein. Sein erster Satz, «Friede sei mit euch», ist politisch und kirchenpolitisch zu verstehen. Nur eine katholische Kirche, die mit sich in Frieden ist, kann für Frieden nach aussen einstehen. Solange sie interne Grabenkämpfe austrägt, ist sie unglaubwürdig. Auch die Kirche muss bei sich selbst anfangen. Synodalität ist dazu ein wichtiges Werkzeug. Wenn wir es schaffen, aufeinander zu hören, kann auch die Welt trotz aller Unterschiede in Frieden und Eintracht leben.
Inwiefern war er bereits aktiv auf Friedensmission?
Prevost wählte den Namen Leo. Sein Vorgänger Leo XIII. hatte sich im Vorfeld des Ersten Weltkriegs für Friedensgespräche eingesetzt. Da ein Papst immer auch Staatsoberhaupt ist, hat er die Möglichkeit, Politiker:innen eine Plattform anzubieten, damit Frieden möglich wird. Leo XIV. hat davon bereits Gebrauch gemacht. Er hat beispielsweise mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskji und dem russischen Präsidenten Putin über mögliche Friedensgespräche für die Ukraine gesprochen. Ob andere Staatsoberhäupter das annehmen, liegt nicht in seiner Macht.
Was ist von Papst Leo erwarten in Bezug auf «heisse Eisen» wie Pflichtzölibat oder Frauenpriestertum?
Ich glaube nicht, dass es beim Pflichtzölibat Änderungen geben wird. Was die Rolle der Frau betrifft, hat er wiederholt, was Franziskus dazu gesagt hat. Auch das Frauenpriestertum wird er kaum einführen. Er argumentiert damit, dass eine Klerikalisierung des Frauenamtes vermieden werden sollte. Die Frage ist, welche Rolle er Frauen sonst zugesteht, zum Beispiel in Führungspositionen. Also Mitbestimmung sowohl im staatlichen Bereich des Vatikan wie in der Führung der Kirche. Vielleicht werden Frauen etwa bei Bischofsernennungen eine grössere Rolle spielen.
Leo XIV. ist 69 Jahre alt. Wie deuten Sie die Wahl eines verhältnismässig jungen Papstes?
Eines jungen und fitten Papstes! (lacht). Papst Leo ist nicht nur passiver Sportfan, er nimmt auch selbst den Tennisschläger in die Hand und geht ins Fitnessstudio. Offensichtlich haben die Kardinäle sich einen Papst gewünscht, der lange wirken soll und die Kirche prägen kann. Natürlich braucht es immer mal wieder frischen Wind, aber eine gewisse Kontinuität ist ebenso wichtig.
Auf die sogenannten «heissen Eisen» kann man keine schnellen Antworten geben, die nur einen Teil der Kirche zufriedenstellen. Es geht darum, dass alle gemeinsam dahinterstehen können. In solche Antworten muss die Kirche hineinwachsen, denn sie lebt in Jahrhunderten und Jahrtausenden. Es braucht Zeit, bis die einzelnen kleinen Steinchen der Veränderung zu einer Kathedrale werden. Dass wir jetzt einen Papst haben, der wahrscheinlich ein längeres Pontifikat führen wird, zeigt: Wir haben jetzt die Zeit dafür, das aufzubauen.
Leo ist auch Mathematiker. Inwiefern wird ihm das als Papst nützen?
Einem Papst wie Leo XIV., der auch Naturwissenschaftler ist, traue ich zu, dass er gewisse Themen mit einem anderen als nur dem theologischen Ansatz betrachtet.
Die Basis von künstlicher Intelligenz und von IT ist die Mathematik. Für einen Mathematiker sind solche Technologien kein Teufelswerk, sondern er versteht, wie das funktioniert. Ein solcher Papst ist glaubwürdiger, wenn er beispielsweise etwas zu KI oder zur digitalen Welt sagt.
Haben Sie ihn persönlich getroffen?
Ja. Wie Franziskus und Benedikt wirkt er bescheiden und demütig. Aber bei Leo habe ich den Eindruck, da trifft man seinen Arbeitsgeber, der sein Gegenüber in den Vordergrund rückt. Er ist sehr offen gegenüber denen, die im Vatikan arbeiten. Er nimmt alle ernst und ist ihnen dankbar für ihre Arbeit, unabhängig von ihrer Position. Das hat mich sehr beeindruckt.
- Mario Galgano: Leo XIV. Der Papst des Friedens. Ein Portrait. Paulinus-Verlag 2025. 108 Seiten