Gemeinsam «mit Jesus im Herzen»

Zeit haben für die grossen Fragen des Lebens. Gemeinsam mit anderen den Glauben vertiefen. Das ermöglicht das christliche Orientierungsjahr «Oasis» jungen Erwachsenen. Kirchenpolitik ist in der Wohngemeinschaft derweil kaum Thema.

Von Sylvia Stam |  30.05.2023

«Die Teilnehmer:innen sollen entdecken, wofür sie brennen»: Stefan, Sonja, Bernadette und Céline im Garten des ehemaligen Klosters Maria Opferung in Zug. Bild: Sylvia Stam

«Andere gehen auf Reisen und ent­decken die Welt, ich entdecke die Glaubenswelt!», sagt Céline (23) und schaut lachend in die Runde. Mit ihr am langen, schmalen Tisch in der WG-Stube sitzen Bernadette (21), Sonja (20) und Stefan (25). Seit September leben die vier, die hier mit Vornamen genannt werden möchten, zusammen mit zwei weiteren jungen Frauen in einem Trakt des ehema­ligen Klosters Maria Opferung in Zug. Sie bilden den zweiten Jahrgang des christlichen Orientierungsjahrs Oasis (siehe Kasten).

Gemeinschaft und Wissen

«Meine Arbeit gefiel mir nicht mehr», erzählt Bernadette, Malerin, von ihrem Berufsalltag vor Oasis. Céline, die in einer Bäckerei im Verkauf tätig war,  hat «nur noch funktioniert». Sonja, Fachfrau Kinderbetreuung, hatte aufgrund des langen Arbeitswegs keine Zeit mehr für ihren Glauben. Diesen zu vertiefen, sich mehr Wissen darüber anzueignen, Antworten auf die grossen Fragen des Lebens zu suchen, das ist denn auch die Motivation, die alle vier hierhergeführt hat. 

Der Wochenplan ist dicht, doch es bleibt genügend Freizeit: Bernadette (oben) und Céline auf der Schaukel. | Bild: Sylvia Stam

«Die Teilnehmer:innen sollen entdecken, wofür sie brennen», erklärt Natalie Triner (26) die Idee von Oasis. 
Sie leitet zusammen mit Magdalena Hegglin (35) das Orientierungsjahr. Immer wieder hätten Teilnehmer:innen von Weltjugendtagen oder aus Adoray-Kreisen nach Möglichkeiten gefragt, in einem gemeinschaftlichen Rahmen ihr Glaubenswissen zu vertiefen, erzählt Magdalena Hegglin. 

Das Leben in der WG folgt einem dichten Stundenplan: Der Tag beginnt mit einer Messe oder einem Morgengebet, es gibt Unterricht in Theologie und Bibelkunde sowie fixe Zeiten für gemeinsame Projekte. Das kann die Organisation eines Tanzabends in einer Zuger Pfarrei sein oder die Herstellung eines Getränks, das zum Verkauf angeboten wird. Sport, Theater und Gesang stehen ebenso im Stundenplan wie Putzen und andere Ämtli. Einen Vormittag pro Woche verbringen die WG-Leute in der charismatischen Gemeinschaft der Seligpreisungen in Zug. Eine Messe oder ein Abendgebet runden den Tag ab.

 

«Liebesbeziehungen innerhalb der WG sind nicht erwünscht. Das würde die Gruppendynamik strapazieren.»Natalie Triner

Den dichten Plan erleben die vier nicht negativ: «Wir haben dennoch grossen Freiraum», sagt Sonja. «Im Vergleich zum Arbeitsleben habe ich hier viel mehr persönliche Zeit.» Bernadette wirft ein: «Es ist eine Auszeit.» Wenn sie auf Reisen wären, hätten sie auch wenig Zeit für Freund:innen oder Familie. Auf die Frage nach Schwierigkeiten im Zusammenleben entgegnet Céline spontan: «Man hockt 24 Stunden am Tag zusammen ...» Doch eigentliche Konflikte fallen ihnen nicht ein. Das mag daran liegen, dass es zwei wöchentliche Gefässe für Gespräche gibt. Hier werden einerseits praktische Dinge besprochen, andererseits innerhalb der WG persönliche «Highlights», «Challenges» und «Gottesmomente» geteilt.

Aneinander wachsen

«Durch den Austausch merke ich besser, wie es den anderen geht», sagt Sonja. «Dadurch werde ich feinfühliger in der Kommunikation mit ihnen.» Alle betonen, wie sehr man aneinander wachse, etwa «wenn dir klar wird, dass der Fehler bei dir lag», sagt Stefan. Die WG hat eigene Regeln für das Zusammenleben formuliert. Eine der wichtigsten lautet, dass man sich erst über etwas beschweren darf, wenn man das zuvor angesprochen hatte. 

Liebesbeziehungen innerhalb der WG sind nicht erwünscht, erklärt Natalie Triner. Das würde die Gruppendynamik strapazieren. Dennoch wird pragmatisch damit umgegangen: Dem Pärchen, das sich im letzten Jahrgang fand, wurde empfohlen, die Beziehung vor allem in der freien Zeit zu vertiefen. Die Privatsphäre der jungen Erwachsenen werde auf jeden Fall respektiert. 

«Wir sind fromm»

Die vier Mitglieder der Oasis-WG sind nach einem halben Jahr des Zusammenlebens begeistert: «Es ist in Ordnung, wenn ich einmal nichts leiste», hat Stefan erfahren. Sonja hat gelernt, einen Sonntagszopf zu backen. «Meine Gottesbeziehung ist stärker geworden», so Bernadette, die sich auch auf die Rückkehr in die Arbeitswelt freut. Alle hoffen, dass ihr Glaube in irgendeiner Form auch nach dem Oasis-Jahr in ihrem Alltag Platz haben wird. 

Auch Spiel und Spass haben Platz im Orientierungsjahr für junge Christ:innen: (v. l.) Stefan, Sonja, Céline (mit Plastikfrosch) und Bernadette im Innenhof des ehemaligen Klosters Maria Opferung in Zug. | Bild: Sylvia Stam

Mit Glauben verbinden die vier eine intensive Gottesbeziehung, sie möchten «Jesus im Herzen haben», wie Stefan es formuliert. Auf die Frage, ob sie sich als fromm bezeichnen würden, lachen alle. «Wir gehen in die Kirche, wir knien, wir beten, insofern: Ja», entgegnet Céline. «Wir sind fromm und stehen dazu.»

Das eigene Herz verändern

Kirchenpolitik und politisches Handeln aus christlicher Überzeugung ist weniger ihr Ding. «Man soll zuerst sich selber ändern, ehe man andere zu verändern versucht», findet Bernadette. «Wenn wir selber Zeugnis geben, indem wir beispielsweise mit dem ÖV statt mit dem Auto fahren, wirkt das auch auf andere», ist Céline überzeugt. Den synodalen Prozess, der mit der Umfrage «Wir sind ganz Ohr» gestartet war, haben sie «am Rand mitbekommen». Es sei gut, die Anliegen der Basis anzufragen und festzuhalten, findet Céline. «Aber eine Veränderung muss zuerst in den Herzen geschehen.» Das sei wichtiger als etwa die Frauenfrage. 

 

«Man soll zuerst sich selber ändern, ehe man andere zu verändern versucht.»Bernadette

 

Um die Zukunft der Kirche machen sie sich keine Sorgen. Sie soll ein Ort der Freude sein, ein Ort, wo man gerne hingeht, wünschen sie sich. Und sehen auch sich selber in der Pflicht: «Wir sind Teil dieser Kirche. Es ist an uns, diese Freude nach aussen zu zeigen», sagt Bernadette. Im Sterben der Institution aufgrund sinkender Mitgliederzahlen sehen sie durchaus eine Chance: Wenn Einfluss und Geld fehlten, könnte das zu mehr Eigeninitia­tive der Gläubigen führen, was wiederum das Zugehörigkeitsgefühl stärke, meint Stefan. Vielleicht kämen künftig weniger Leute aus Gewohnheit in die Messe, dafür mehr aus Überzeugung. Sicherlich aber komme «nach dem Winter der Frühling», ist Bernadette überzeugt.

Den Glauben vertiefen

Das christliche Orientierungsjahr Oasis richtet sich an 18- bis 30-Jährige, die offen sind für die katholische Glaubenspraxis. Von September bis Juli leben fünf bis acht Personen als WG zusammen, in einem Trakt des ehemaligen Klosters Maria Opferung in Zug. Sie vertiefen die Grundlagen des christlichen Glaubens, lernen verschiedene Spiritualitätsformen kennen und setzen sich mit der persönlichen Berufung auseinander. Darüber hinaus besuchen sie das Heilige Land, pilgern von Assisi nach Rom und leisten einen Sozialeinsatz. Kost, Logis und Ausbildung für die neun Monate betragen 9900 Franken. 

Hinter Oasis steht Anima Una, eine Plattform für katholische Neuevangelisierung. Schirmherr ist Jugendbischof Alain de Raemy.