Heil auch ausserhalb der Kirche

Vor 60 Jahren erschien das Konzilsdokument «Nostra aetate» – ein Wendepunkt im Umgang der katholischen Kirche mit anderen Religionen, vor allem mit dem Judentum.

Von Elisabeth Zschiedrich, Pfarrblatt Bern |  14.11.2025

Vor 60 Jahren anerkannte Rom das Judentum als Wurzel des Christentums. Im Bild: die Thora, heilige Schrift des Judentums. | Bild: Peter Weidemann, Pfarreibriefservice.de

Am 28. Oktober 1965 verabschiedete das Zweite Vatikanische Konzil die «Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nicht christlichen Religionen» («Nostra aetate», auf Deutsch: «In unserer Zeit»). Neu daran war die grundsätzliche Standortbestimmung der katholischen Kirche: Bis dahin vertrat diese einen exklusiv verstandenen Wahrheitsanspruch, nach dem ausserhalb der Kirche kein Heil zu finden sei. Mit dem Konzilsdokument anerkennt die Kirche Wahres und Heiliges nun auch in anderen Religionen. 

Mitverantwortung für Shoa 

Die Auseinandersetzung mit der jüdischen Religion und deren Glaubensinhalten bildet das Herzstück der Erklärung. Betont wird das «gemeinsame geistliche Erbe», die besondere Verbindung von Christentum und Judentum. «Nostra aetate» anerkennt das Judentum als Wurzel des Christentums. Zudem grenzt sich das Dokument ab von dem in der christlichen Theologie über Jahrhunderte verbreiteten Vorwurf, das jüdische Volk als Ganzes trage die Schuld an Leiden und Tod Jesu. 

Unter dem Eindruck des damals erst 20 Jahre zurückliegenden Holocausts verurteilt die Erklärung «alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben». Hier klingt der von christlicher Seite geprägte Antisemitismus an, mit dem auch die Kirche der Verfolgung und Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialist:innen den Boden bereitet hatte. 

Namentlich erwähnt werden die Shoa und die Mitverantwortung der Kirche jedoch nicht. Erst 1998 nimmt eine von Papst Johannes Paul II. eingerichtete Kommission kritisch Stellung zu der Rolle von Christ:innen und besonders von kirchlichen Amtsträgern während der NS-Zeit. Eine explizite Entschuldigung der Kirche als Institution steht bis heute aus. 

Antisemitismus heute

Angesichts des aktuell weltweit erstarkenden Antisemitismus fordert der Luzerner Judaist und Theologe Christian Rutishauser die katholische Kirche in einem Beitrag der «Herder Korrespondenz» dazu auf, sich mit den tieferen Gründen des heutigen Judenhasses zu befassen. Die Kirche drohe sonst selbst wieder in Antijudaismus abzugleiten. Rutishauser fragt: «Stellen Verschwörungstheorien über jüdische Weltherrschaft säkulare Zerrformen eines früheren Gottesglaubens dar? Mutiert die Frustration über eine zu komplexe, unerlöste Welt in Judenhass, weil das Judentum das messianische Bewusstsein und damit auch das Wissen um die Unerlöstheit geweckt hat?» 

Der Weg geht weiter

Auch eine Auseinandersetzung mit dem Land der Bibel, mit dem Staat Israel und mit dem jüdischen Volk hält Rutishauser für unausweichlich. Vom Judentum als Religion sei beides nicht zu trennen. 
Mit Blick auf den christlich-jüdischen Dialog stellt die Veröffentlichung von «Nostra aetate» einen Wendepunkt dar, hinter den es kein Zurück gibt. Die Erklärung markiert zugleich nur den Anfang eines Weges, auf dem zwar bereits einige Schritte getan wurden, dessen Ende aber noch lange nicht erreicht ist.