Kirchen fördern Gemeinwohl

Eine neue Studie der Universität Zürich zeigt: Religionsgemeinschaften fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ihre Angebote werden von der Bevölkerung geschätzt. Letzten Herbst kam eine Studie zu einem anderen Schluss.

 

Von Barbara Ludwig, kath.ch |  14.03.2024

Eine Zürcher Studie zeigt die Bedeutung von Kirchen für die Gesellschaft auf. Im Bild: Blick über die Altstadt von Zürich. Bild: Barbara Ludwig

Jedes Jahr bekommen Reformierte, Katholik:innen, Christkatholik:innen sowie zwei jüdische Gemeinschaften insgesamt 50 Millionen Franken vom Kanton Zürich. Das Geld aus dem Steuertopf für die fünf anerkannten Religionsgemeinschaften wird mit ihrem Beitrag zum Gemeinwohl legitimiert. Säkularisierung und Zuwanderung von Menschen anderen Glaubens haben allerdings längst ihre Spuren hinterlassen: Mitglieder der römisch-katholischen und der evangelisch-reformierten Kirche stellen nach Angaben des Bundesamtes für Statistik 46 Prozent der Wohnbevölkerung ab 15 Jahren (2022). Und im Kanton leben rund 90’000 Muslim:innen sowie rund 490’000 Konfessionslose.

Im Auftrag von Kanton und Kirchen

Vor diesem Hintergrund will der Staat sein Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften überprüfen. Gemeinsam mit der reformierten und der katholischen Kirche gab er beim Religionswissenschaftlichen Seminar und dem Soziologischen Institut der Universität Zürich eine Studie in Auftrag. Sie trägt den Titel: «Beiträge der anerkannten Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich zum Gemeinwohl». Am Donnerstag ist sie der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Ziel war, den Beitrag der anerkannten Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich zu einer solidarischen und stabilen demokratischen Gesellschaft zu analysieren, heisst es in der Zusammenfassung der Studie. Sie zeigt auf, inwiefern die Gemeinschaften und ihre sozialen Netzwerke, Aktivitäten und Ressourcen zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen.

Repräsentative Umfrage

Die Forscherinnen und Forscher haben auch untersucht, wie der Beitrag der Religionsgemeinschaften in der Bevölkerung wahrgenommen wird. Im Fokus standen bei einer der repräsentativen Umfrage die religiösen Rituale, aber auch nicht-kultische Angebote sowie die religiösen Bauten.

Das Resultat zeigt, dass eine Mehrheit der Menschen im Kanton Zürich die Religionsgemeinschaften positiv wahrnehmen. So halten über 50 Prozent der Befragten die Angebote der Religionsgemeinschaften im Bereich der Seelsorge, Senior:innenarbeit, Altenpflege und Flüchtlingshilfe für wichtig bis sehr wichtig. Die Menschen im Kanton Zürich betrachten religiöse Rituale als wichtig, um Krisen, Trauer und Tod zu bewältigen. Religiöse Rituale bei Beerdigungen halten über 60 Prozent der Befragten, darunter auch nicht-religiöse Menschen, für wichtig. Viele Menschen schätzen zudem die Sakralbauten, die den öffentlichen Raum prägen – auch wenn sie selten Kirchen besuchen.

Mehr Gemeinsinn im Job

Von welchen Werten lassen sich religiöse Menschen leiten? Auch das haben Forscherinnen und Forscher untersucht und dabei die «Werteprofile» von religiösen und nicht-religiösen Personen miteinander verglichen. Dabei zeigte sich, dass religiöse Menschen eine «höhere Gemeinschaftsorientierung» aufweisen. Dies gilt insbesondere auch für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in religiösen Vereinen engagieren.

Religiöse Menschen stufen Tradition wichtiger ein, hier fanden die Forscherinnen und Forscher einen starken Unterschied im Vergleich mit nicht-religiösen Personen. In Bezug auf das Arbeitsethos ist ihnen materieller Gewinn und Aufstieg weniger wichtig. Für religiöse Menschen zählt stärker das Interesse an der Arbeit, Eigeninitiative und die Ausrichtung am Gemeinwohl.

Viel Sozialkapital, das in Lebenskrisen hilft

Sogenanntes Sozialkapital kann Menschen helfen, ihren Alltag und schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. Bei diesem Punkt schneiden die mittels einer Netzwerkanalyse untersuchten religiösen Vereine sehr gut ab. Über 80 Prozent der befragten Mitglieder schlossen in ihren Vereinen Freundschaften. Dies sei bei nichtreligiösen Organisationen seltener und weniger schnell der Fall.

Religiöse Vereine stellen laut Studie effiziente Netzwerke für den Aufbau persönlicher Beziehungen her, die als Ressource in Krisen erfahren werden. Ausserdem sind die Vereine wichtig für die Sozialisierung. Die untersuchten religiösen Jugendgruppen förderten Solidarität, Toleranz und Inklusion. Den Religionsgemeinschaften gelingt es auch, Beziehungen zwischen Menschen zu fördern, die sich in sozialem Status, im ethnischen oder religiösen Hintergrund unterscheiden.

Stärkeres Engagement in der Politik

Die Mitglieder der untersuchten Vereine zeigen grundsätzlich ein höheres politisches Engagement als Personen, die keinem solchen Verein angehören. So nehmen sie zum Beispiel häufiger an Wahlen teil. Die Basis dafür werden bereits in der Kindheit gelegt, also durch eine religiöse Sozialisation. Die politische Beteiligung könne allerdings durch die starke Orientierung an Tradition zwischen den religiösen Gemeinschaften selbst und innerhalb der Gesellschaft zu Polarisierungen führen.

Das Fazit der Studie lautet: «Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass liberales Christen- und Judentum gesellschaftliche Kohäsion und Integration fördern und Ressourcen für ein sozial engagiertes und friedliches Zusammenleben bereitstellen.»

Frühere Studie - anderes Bild

Dieses positive Fazit steht im Widerspruch zu einer anderen Studie, die letzten Herbst veröffentlicht wurde. Sie war ebenfalls im Auftrag von Kanton und der reformierten und der katholischen Landeskirche durchgeführt worden – vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich.

Diese Untersuchung stellte fest, dass die beiden Landeskirchen weiter gesamtgesellschaftlich wichtige Leistungen erbringen, gleichzeitig jedoch in den letzten sechs Jahren deutlich an Bedeutung verloren hätten. Die Bekanntheit kirchlicher Angebote sei in der Gesellschaft stark zurückgegangen. Zudem messe die Bevölkerung den kirchlichen Angeboten weniger Bedeutung bei als noch vor sechs Jahren.

Die Studie mit dem Titel «Kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung im Kanton Zürich» warf den Kirchen zudem vor, während der Corona-Pandemie versagt zu haben.

Folgen für Kantonsbeiträge offen

Was nun die neue Studie für die kantonalen Beiträge an die Kirchen bedeutet, sei am Donnerstag offen geblieben, heisst es in einem Bericht der «Neuen Zürcher Zeitung» vom Freitag. Der Kantonsrat wird noch dieses Jahr über die Beiträge ab 2026 entscheiden, meldete das Newsportal ref.ch am 2. Februar.

Doppelt so viele Austritte

Für den Kanton Luzern gibt es
keine Gemeinwohlstudie, wie sie für Zürich nun vorliegt. Die Luzerner Landeskirchen erhalten auch keine Staatsbeiträge. Die Verhältnisse sind hier jedoch ähnlich: Die Mitgliederzahlen sinken, die gesellschaftliche Bedeutung bleibt hoch.

  • Im Kanton Luzern gehörten Ende 2023 51,1 Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche an, 2,6 Prozent weniger als im Jahr zuvor.
  • 8,6 Prozent waren reformiert (–0,8). Zum Vergleich: Ende 2013 waren noch 64,3 Prozent der Luzernerinnen und Luzerner katholisch und 10,9 Prozent reformiert.
  • Die Austritte aus der katholischen Kirche verdoppelten sich vergangenes Jahr als Folge der Missbrauchsstudie von 4160 (2022) auf 8440.