«Lustvoll Eigenes gestalten»

40 Jahre Engagement für Frauen in der Kirche dokumentiert das Buch «Mächtig stolz». Mit-Herausgeberin ist die Luzerner Theologin Silvia Strahm.

Von Sylvia Stam |  13.05.2022

Regula Grünenfelder, Simone Marchon und Renata Asal-Steger luden 2019 auf unkonventionelle Weise zum Kirchen-Frauen-Streik. Bild: Fleur Budry

Für wen ist dieses Buch?

Silvia Strahm: Das Buch dokumentiert 40 Jahre Frauen-Kirche-Bewegung. Damit ist all das gemeint, was feministisch orientierte Frauen in den christlichen Kirchen tun und getan haben. Entsprechend richtet es sich zuerst an all diese engagierten Frauen. Ausserdem füllt es Lücken bei jüngeren Theologinnen, die vielleicht noch wissen, wer Marga Bührig war, aber wenig von konkreter Frauen-Kirche.

Was sind Highlights dieser Bewegung aus dem Raum Luzern?

Die Universität Luzern ist die einzige Uni, die seit mehr als dreissig Jahren ohne Unterbruch Lehraufträge in feministischer Theologie vergibt. In Luzern hat das erste schweizerische Frauenkirchenfest stattgefunden, die Zeitschrift Fama wurde hier gegründet. Später gab es die Frauenkirche Zentralschweiz, heute fraz, und auch das Romerohaus hat viel zu feministischer Theologie gemacht.

Was ist feministische Theologie?

Eine kritische Theologie, die mit einem feministischen Blick fragt: Wie sehen die Kirchen, die christliche Theologie und auch die Bibel Frauen? Was haben sie zu ihrer Unterdrückung beigetragen? Sie untersucht Frauenverachtung in der Theologie, die Verdrängung von Frauen aus den entstehenden Ämtern im frühen Christentum, biblisch begründete Frauenfeindlichkeit und vieles mehr. Es geht um Aufarbeitung dessen, was die Kirche, insbesondere die katholische, Frauen angetan hat.

Also eine ziemlich negative Sichtweise.

Nicht nur. Es geht auch darum, nach positiven Anknüpfungspunkten für Frauen in der theologischen, kirchlichen und eben auch biblischen Tradition zu suchen. Jesus bricht beispielsweise die Familie als einzige Beziehungsstruktur auf und beruft alle in eine neue Gemeinschaft. Wer ihm nachfolgen will, muss seine Familie verlassen, also auch diese Strukturen. Das wäre eigentlich ein Freiraum für Frauen. Auch die Bergpredigt gilt für alle. Das Christentum hat eine befreiende Botschaft, die auch für Frauen gelten müsste. Man muss graben, um das zu finden.

Die Hochblüte feministischer Theologie war in den 80/90er Jahren. Wie äusserte sich das?

1976 erklärte die katholische Glaubenskongregation, dass Frauen nie zum Priesteramt zugelassen werden könnten, weil Frauen aufgrund ihres Geschlechtes keine natürliche Ähnlichkeit mit Christus hätten und ihn schwerlich abbilden könnten. Das war für mich ein Schock. So bin ich zum Feminismus gekommen.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe mich auf Bücher von amerikanischen Theologinnen gestürzt. Bildungshäuser wie die Paulus-Akademie, Boldern, später auch das RomeroHaus nahmen das Thema auf. All die teilnehmenden Frauen trugen ihre Einsichten in ihre Pfarreien. Sie organisierten sich, um sich Gehör zu verschaffen. In Luzern wollten wir eine Gewerkschaft für kirchlich tätige Frauen gründen, daraus wurde dann die feministisch-theologische Zeitschrift Fama. Es gab Schweizerische Frauensynoden, an denen jeweils gut 1000 Frauen teilnahmen. Das war auch wichtig für das Gefühl, nicht alleine zu sein, sondern gemeinsam etwas bewegen zu können.

Eine Theologin sagt im Buch, sie wolle sich nicht nur am Patriarchat abarbeiten, sondern lustvoll Eigenes gestalten. Was für Eigenes wurde da gestaltet?

Tagungen und Gottesdienste waren immer auch lustvoll, wir haben experimentiert mit Sprache, Körperarbeit, Tanz, mit witzigen Aktionen wie jüngst der Frauenkirchenstreik. Es ging immer auch darum, etwas Positives, Kräftigendes zu tun, nicht nur zu lamentieren, was alles nicht stimmt in den Kirchen, sondern selber etwas zu machen, was uns guttut.

Warum waren und sind eigene Gottesdienste für Frauen wichtig?

Frauen wollten ihre eigenen Räume, weil sie in den allgemeinen Räumen nicht vorkamen oder kein Gehör fanden. Auch in den Gottesdiensten hatten Frauen kaum einen Anteil: Weder an der Sprache, noch an den Liedtexten oder an der Textauswahl. Das hat sich zum Glück geändert, seit es Pfarreiseelsorgerinnen und Gemeindeleiterinnen gibt.

Was hat die kirchliche Frauenbewegung noch erreicht?

Wenn man die Verfasstheit der katholischen Kirche anschaut, hat sie kaum etwas erreicht. Aber über die Theologinnen, die in den Kirchen arbeiten, die Universitäten, die nach wie vor feministische Theologie betreiben, lebt etwas weiter. Im Buch listen wir auch neuere Initiativen auf: Den Frauenkirchenstreik, die Junia-Initiative, das Pilgerprojekt «Für eine Kirche mit den Frauen». Es gibt aber auch viele Frauen, die zuerst noch in den Frauenkirchen engagiert waren, die aber allmählich resigniert und sich von der Kirche abgewendet haben.

Was bleibt zu tun?

Es braucht ein Interesse am Christentum, um feministische Theologie zu goutieren. Doch dieses schwindet. Da interessiert sich erst recht niemand mehr für eine kritische Auseinandersetzung damit. Die Frage ist daher eher: Was für eine Zukunft haben die Kirchen? Heute gibt es viele spirituelle Menschen, die ganz andere Möglichkeiten des Ausdrucks gefunden haben, ausserhalb der Kirche.

Am Ende des Buches sagen Sie: «Vielleicht sollte man zuwarten und wach bleiben.» Ist das Ihr persönliches Fazit?

Ja, wach bleiben für Dinge, die mich positiv stimmen und die mich hoffen lassen, dass es besser werden kann, dass das gute Leben für alle möglich bleibt. Viele der ehemals engagierten Frauen sind älter geworden, möchten sozusagen den Stab weiterreichen, ob andere Generationen nachrücken, ist jedoch ungewiss. Ganz verschwinden wird das feministische Engagement in den Kirchen nicht. Es gibt immer wieder ein paar Gluten, die aufglimmen.

Silvia Strahm (66) ist katholische Theologin, sie war an der Frauenkirchenstelle Zentralschweiz und der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Ökumenische Bewegung

Das Buch «Mächtig stolz» blickt zurück auf 40 Jahre Frauen-Kirche-Bewegung. Gut 70 Akteurinnen berichten von damals und heute und geben einen Überblick über die Anfänge und Entwicklungen der Feministischen Theologie und der ökumenischen Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz.

Doris Strahm und Silvia Strahm Bernet (Hg): Mächtig stolz. 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz | efef-Verlag 2022 | Fr. 38.–

Buchvernissage: 14.5., 11.00, MaiHof, Weggismattstrasse 9 in Luzern