Nektar sammeln in der Hotspotzone

Nicht verzweifeln, sondern aktiv etwas tun: Denise Baumann setzt dem Artensterben etwas entgegen. In ihrem naturnahen Garten in  Schwändi ob Schüpfheim leben und wachsen zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.

Von Sylvia Stam |  29.08.2022

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«Schau, da kommt der Zitronenfalter. Der mag nur ganz wenige Pflanzen», erklärt Denise Baumann (47) aus Schüpfheim, während sie den Gast durch ihren grossen naturnahen Garten führt. «Die Wollbiene liebt den Wollziest. Dessen Blätter sind behaart, aus den Härchen macht die Biene Kügelchen. Damit fliegt sie zu ihrer Bruthöhle und legt ihr Ei hinein, zusammen mit etwas Proviant.»

«Der Garten ermöglicht es mir, dem Artensterben aktiv etwas entgegenzusetzen, was in meinen Möglichkeiten liegt», sagt Denise Baumann.  

Immer wieder hält sie an, sieht einen Perlmuttfalter, zeigt auf eine Libelle, die am Rand des Biotops gerade ihre Eier ablegt, und erklärt, warum diese oder jene Pflanze gerade hier wächst. Denn der Hortus Roorweidli, so heisst ihr 3500 Quadratmeter grosser Garten mit Wald, Wiesen, Hecken, zwei Bächen, einem Weiher und einem Nutzgarten, ist wie ein Mobile aufgebaut, bei dem alle Einzelteile zum Gleichgewicht des Ganzen beitragen.

Das Prinzip der drei Zonen

Zentrales Element sind drei Zonen: eine Puffer-, eine Hotspot- und eine Ertragszone, erklärt die frühere Primarlehrerin und Shiatsu-Therapeutin. «Die Zonen sind miteinander vernetzt und stabilisieren sich gegenseitig, sodass es kaum Schädlingsbefall gibt.»


Die Pflanzen in der Hotspotzone ziehen bestimmte Insekten an, was einen Einfluss auf die Ernte haben kann.

Wir befinden uns gerade in der Hotspotzone. Hier wachsen auf magerem Boden Nektar spendende Blumen wie Lavendel, Ringelblumen, Nachtkerzen oder der erwähnte Wollziest. Sie bieten Nahrung für allerlei Insekten und Amphibien. Letztere sind wichtig «für die Balance zwischen Nützlingen und Schädlingen», erläutert Baumann.

«Vielfältige Lebensräume sind stabiler und funktionstüchtiger.»
Tanja Koch, Biologin bei der Biosphäre Entlebuch

Die Ertragszone dient der Ernährung des Menschen, sie liegt daher nahe beim Haus. Hier wachsen Bohnen, Rüebli, Zucchetti. «Wenn der Ertrag gelingt, hat man in der Hotspot-Zone vieles richtig gemacht.» Denise Baumann setzt das Gemüse in ihren Hochbeeten auffallend dicht und deckt den Boden mit Schafwolle ab. «Das vermindert die Erosion, weil die Erde bedeckt ist. Die Pflanzen schützen und stützen sich gegenseitig. Ich brauche dadurch auch weniger Wasser.»


Wenn der Ertrag gelingt, hat man in der Hotspotzone vieles richtig gemacht. 

Vielfalt wird sichtbar

Nach aussen hin wird der Garten schliesslich durch eine Pufferzone begrenzt. Im Garten von Denise und Roger Baumann in der Siedlung Schwändi ist dieser an Totholzhecken erkennbar. «Hier schichten wir das Schnittmaterial der Hecken, Bäume und Sträucher ein. Es dient als Unterschlupf etwa für Igel und Käfer.» Ein ähnliches Ziel verfolgt die Pyramide aus grossen Steinen: Sie bietet Eidechsen oder Blindschleichen Schutz.


Totholzhecken dienen als Unterschlupf für Igel und Käfer.

Die Folge dieser drei Zonen, die nach dem Prinzip des Hortus-Konzepts angelegt sind, ist ein naturnaher Garten, der so im Gleichgewicht ist, dass sich eine Vielfalt an Tieren und Pflanzen entwickeln kann. Tatsächlich haben die Baumanns inzwischen über 40 Vogelarten in ihrem Hortus gesichtet. «Als wir 2017 damit begannen, waren es eine Handvoll», erzählt Denise Baumann nicht ohne Stolz. Auch seltene Falter wie der Schlüsselblumen-Würfelfalter fühlten sich hier wohl.

Stabilere Ökosysteme

Unterhalb des Roorweidli liegt das Zentrum der Biosphäre Entlebuch. Hier erläutert die Biologin Tanja Koch, weshalb eine solche Artenvielfalt wichtig ist: «Vielfältige Lebensräume sind stabiler und funktionstüchtiger als solche, die nur wenige Arten aufweisen.» Die Natur sei ein fragiles System. Sie erwähnt als Beispiel für ein Ökosystem, das aus dem Gleichgewicht ist, den Baldeggersee: «Als Folge von hohen Nährstoffeinträgen wachsen Algenteppiche. Für deren Atmung und Abbau braucht es viel Sauerstoff. Dadurch bildet sich auf dem Boden des Sees eine sauerstoffarme Schicht und der dortige Fischlaich stirbt ab.» Der See müsse daher künstlich mit Sauerstoff versorgt werden. Durch solche Störungen in der Balance seien viele Tier- und Pflanzenarten bedroht. Ursachen für das Ungleichgewicht gebe es viele, sagt Tanja Koch: Intensive Landwirtschaft, Zerstörung von Lebensräumen, Klimawandel durch CO2-Ausstoss.


Tanja Koch berät auch Entlebucher Landwirt:innen in Sachen Biodiversität.

Die Natur machen lassen

Gegensteuer geben, um die Biodiversität zu fördern, könne jeder und jede, sagt Koch, die im Entlebuch Landwirt:innen und Gemeinden in Sachen Biodiversität berät. Etwa durch das Anlegen eines naturnahen Gartens. Eine Broschüre der Biosphäre erläutert, worauf dabei zu achten ist: einheimische und standortgerechte Pflanzen, der Verzicht auf Torf, Dünger und chemische Pflanzenschutzmittel sowie eine Portion Toleranz, indem man die Natur machen lässt.

«Ich finde es auch interessant, wenn Dinge nicht gelingen.»
Denise Baumann

Daran hält sich auch Denise Baumann. Was aber bedeutet das für den Umgang mit Unkraut oder Schädlingen? «Wenn eine Pflanze plötzlich massenhaft auftritt, frage ich mich, warum das so ist. Brennnesseln tauchen beispielsweise auf, wenn es mehr Licht gibt, weil etwa ein Baum gefällt wurde.» Auch sie dezimiert gewisse Pflanzen, «aber es hat immer einen Grund». So greift sie «sanft korrigierend» ein, um die Zonen zu erhalten.

Mit Wespen gegen Läuse

Ähnlich reagiert sie, wenn Pflanzen von Läusen befallen sind: «Läuse sind eine Antwort auf Stress. Meistens war es den Pflanzen im Frühjahr zu trocken, wenn im darauffolgenden Sommer Läuse auftreten.» Ihre Antwort darauf: «Ich schaue gut zu den Wespen!», denn diese fressen Läuse.


Am Teich von Denise Baumanns Hortus legt eine Libelle gerade ihre Eier ab.

Aufwändiger ist der Umgang mit Schnecken. Um möglichst wenige anzuziehen, verwendet sie keinen Kompost, sondern «Bokashi». Hierfür werden organische Materialien mit Hilfe von Mikroorganismen fermentiert. Die verbleibenden Schnecken sammelt sie ein, gefriert sie zwei Tage und entsorgt sie dann im Kehricht.   

Als «heikles Thema» gar bezeichnet sie die Frage nach Mäusen. «Da gerate ich in Wallung», verrät sie lachend. Knoblauch biete in unmittelbarer Nähe Schutz vor Wühlmäusen, Kaffeesatz in den Löchern vertreibe sie ein Stück weit, aber sie stelle auch Mäusefallen auf, die zum Tod der Tiere führten. Eine klare Lösung habe sie hier nicht wirklich. «Aber ich finde es auch interessant, wenn Dinge nicht gelingen.»


Denise Baumann deckt den Boden der Hochbeete mit Schafwolle ab, zur Verminderung der Erosion.

Ein Balkon genügt bereits

Mit ihrem Garten möchte Denise Baumann auch dem Artensterben und dem Klimawandel etwas entgegensetzen: «Auch mich beelendet es, was mit der Erde geschieht, aber ich möchte nicht verzweifeln, sondern aktiv das tun, was in meinen Möglichkeiten liegt», erklärt sie ihre Motivation für ihren Hortus. Dabei müssten es nicht gleich 3500 Quadratmeter sein. «Man kann schon auf einem Balkon beginnen: Ein Topf mit Lavendel als Nektar, Cherrytomaten oder Basilikum und eine Bambusmatte im Geländer, die als Nisthilfe für Wildbienen dienen kann – schon hat man die drei Zonen.» Hauptsache sei, «dass man die Welt nicht nur verändern will, sondern auch tatsächlich etwas tut.»

Hinweis: Inmitten des Hortus Roorweidli vermieten Denise und Roger Baumann ein Ferienhaus.

Biodiversität fördern

Vom 1. September (Tag der Schöpfung) bis am 4. Oktober (Gedenktag Franz von Assisi) feiern die Kirchen die so genannte «SchöpfungsZeit». Dieses Jahr steht sie unter dem Motto «Höchste Zeit für die Schöpfung». Die Klimaerwärmung bedroht Pflanzen und Tiere, schreibt der Verein «oeku – Kirchen für die Umwelt». Er ruft dazu auf, von fossilen Brennstoffen wegzukommen und die Biodiversität zu verstärken. «oeku» stellt dazu Materialien für Pfarreien zur Verfügung.

oeku.ch/schoepfungszeit

Mehr als nur Artenvielfalt

Beim Begriff «Biodiversität» geht es um Vielfalt auf drei Ebenen:
Genetische Vielfalt innerhalb einzelner Pflanzen oder Tiere, zwischen diesen Individuen und ihrer Population sowie zwischen Populationen.
Organismische Vielfalt: Vielfalt an Unterarten, Arten, Gattungen oder Familien
Ökosystemare Vielfalt: Vielfalt an Lebensgemeinschaften und Ökosystemen

Blattschneiderbiene an der Blüte einer breitblättrigen Platterbse. Quelle: Bilder: Sylvia Stam