Über Sexualität sprechen

Missbrauch sollte im Zusammenhang mit Männlichkeitsbildern diskutiert werden, finden die Theologen Daniel Ammann und Christoph Walser. Sie laden daher zu einer Tagung in die Paulus-Akademie.

Von Eva Meienberg, Pfarreiblatt «Horizonte Aargau» |  14.02.2024

Was gilt als männlich? Bilder von Männlichkeit unterliegen gesellschaftlichen Normen, sagt Theologe und Männerberater Christoph Walser. |Symbolbild: Pixabay

Wo Sexualität und Spiritualität zusammenkommen, sehen Daniel Ammann und Christoph Walser den fruchtbaren Boden für eine konstruktive Prävention gegen Missbrauch. Ammann ist Seelsorger im Pastoralraum Hürntal, Walser reformierter Pfarrer in Zürich. Beide sind seit Jahren in der kirchlichen Männerarbeit tätig, nun laden sie zu einer Tagung in die Paulus-Akademie Zürich (Kasten).

Neue Bilder diskutieren

Mit Richtlinien, Massnahmen und Sanktionen, wie sie in den Schutzkonzepten der Bistümer formuliert sind, sei es nicht getan. «Das Problem liegt unter der Haut, in den Körpern der Menschen», sagt Christoph Walser im Gespräch. Menschen hätten die Bilder von Männlichkeit und die religiösen Prägungen verinnerlicht. Er kritisiert, dass das Thema Missbrauch nicht im Zusammenhang mit Männlichkeitsbildern diskutiert wird. Die Vorstellung, was männlich sei, unterliege gesellschaftlichen Normen. Die Bilder von Männlichkeit und männlicher Sexualität gelte es zu dechiffrieren und alternative Erzählungen darüber zu diskutieren, so Walser.

«Spirituelle Spitzensportler»

Schon 2013 haben Ammann und Walser am Männertag in Hertenstein ein «Sex Manifest» verabschiedet. Das beginnt damit, dass es den Mann als ein sexuelles Wesen ernst nimmt. Lust wird darin als Lebenskraft verstanden und sexuelle Erfüllung als Geschenk. Die sexuelle Bildung als lebenslanger Prozess, dem der Einzelne und die Gesellschaft verpflichtet ist. Das Manifest endet damit, dass sich die Verfasser verpflichten, über Sexualität zu sprechen, damit realistische Bilder männlicher Sexualität sichtbar werden.

«Männer, die sich entschliessen, Priester zu werden, fällen ihren Entscheid in einer Phase ihres Lebens, in der sie am Anfang ihrer sexuellen Entwicklung stecken», sagt Christoph Walser.  Sexologisch sei klar, dass die Unter-brechung dieses Prozesses negative Folgen habe. «Priester gelten als die spirituellen Spitzensportler.» An ihnen sollen sich alle Männer orientieren. «Je weniger sexuell, umso spiritueller» sei das Motto der priesterlichen Sozialisation. Christoph Walser hat in seinen Seminaren erfahren, wie viele Männer – nicht nur Priester – dieses Bild von Männlichkeit in sich tragen und daran leiden. 

«Die Sexualität ist unter Druck», sagt Christoph Walser, «nicht nur durch die religiöse Dimension.» Seit der Aufklärung mit ihrer kontrollierenden Vernunft und dem Kapitalismus, der den Sex zum Konsumgut mache, sei es umso wichtiger, die spirituelle Dimension der Sexualität wiederzufinden.
 

Missbrauch stoppen

Die Tagung «Gottes Liebe ist bunt» beleuchtet Hintergründe von sexuellem und spirituellem Missbrauch in der Kirche:  Männlichkeitskonzept, Vorstellungen des Amtspriestertums, Sexualmoral und Konzepte von Spiritualität. Dabei werden Perspektiven aufgezeigt, wie Missbrauch und Vertuschung zu stoppen sind. 

Donnerstag, 22. Februar, 9.00–17.00 Uhr, Paulus-Akademie, Zürich | Mit Pierre Stutz, Stephan Loppacher, Elke Pahud de Mortanges, Christoph Walser | Leitung: Daniel Ammann, Csongor Kozma, Bernhard Lindner | Anmeldung bis 18. Februar

Mehr: paulusakademie.ch