Verschieden und von Gott geliebt

Jesus war ein Jude aus dem östlichen Mittelmeerraum. Mit ihm lebten ganz normale Männer und Frauen, auch mollige, alte und gebrechliche. Die «Alle Kinder Bibel» rüttelt sanft an gängigen Clichébildern.

Von Sylvia Stam |  27.08.2025

Alte und junge Menschen, gesunde und gebrechliche, hellhäutige und Personen «of Color» haben in der «Alle Kinder Bibel» Platz. Illustration: Anna Lisicki-Hehn

War Jesus ein langhaariger bärtiger Mann mit heller Haut? So jedenfalls wird er hierzulande in vielen Kirchen dargestellt, ebenso seine Jünger:innen.  Diesem europäischen Blick setzt die «Alle Kinder Bibel» eine Vielfalt entgegen, die der damaligen Realität im östlichen Mittelmeerraum wohl eher entspricht: Kinder, Erwachsene, sogar Engel haben in dieser «vielfaltssensiblen» Bibel mehrheitlich eine dunkle Haut, sind also Personen «of Color».

Mollige und alte Menschen

Die «Alle Kinder Bibel» geht in Sachen Vielfalt noch weiter: Adam und Eva sind als etwas mollige Figuren gezeichnet, in einer Gruppe von Kindern sitzt ein Mädchen, dem ein Fuss fehlt. Ihr Gehstock liegt neben ihr am Boden. Unter den Menschen, die Jesu Bergpredigt lauschen, sind auch grauhaarige, schwangere und gebrechliche Menschen. 

Auf Noahs Arche steht eine orientalische Lehmhütte, kein Holzhaus mit Schrägdach. Illustration: Anna Lisicki-Hehn

In den Bildern spiegelt sich die theologische Aussage wider, die auch der Auswahl der Geschichten zugrunde liegt: «Alle waren verschieden. Und alle waren besonders. Von Gott geliebt und sehr gut», heisst es in der Geschichte von der Erschaffung der Welt. Die Bibel handle von « Menschen, die gesellschaftlich am Rand stehen, übersehen oder diskriminiert werden», heisst es im Nachwort zum ersten Band. «Gerade diesen Menschen wendet Gott sich mit besonderer Liebe und Aufmerksamkeit zu».

Weinende Männer

Auf behutsame, unauffällige Art geht die «Alle Kinder Bibel» auch mit Geschlechterfragen und -clichés um: Noah, Vater von drei Söhnen, trägt ein Baby im Arm, als er Gottes Auftrag vernimmt, eine Arche zu bauen. Unter den vielen Menschen, die «Jesajas Friedenstraum» illustrieren, sind auch zwei Männer als Liebespaar zu erkennen. Wütende Frauen werden ebenso gezeigt wie weinende Männer.

Neckisches Detail: Noah trägt ein Baby im Arm, als er Gottes Auftrag vernimmt. Illustration: Anna Lisicki-Hehn

Gendersensibilität zeigt sich auch in der Sprache: «Gott ist ein*e Gott, die sich um die Schwächsten kümmert», sagt Mose in seiner letzten Rede. Das mag manche irritieren. Beim Vorlesen etwa stolpert man über den Genderstern. Doch genau dies kann Anlass sein, mit Kindern über Gottesbilder ins Gespräch zu kommen.

Identifikationsfiguren

Kinder treten in dieser Bibel als Identifikationsfiguren auf. Hier wird die biblische Vorlage denn auch schon mal erweitert: Bei der Geschichte von der wundersamen Brotvermehrung  ist es ein Mädchen, das Jesus die fünf Brote und zwei Fische bringt. Als alle 5000 Menschen satt sind, fühlt es «etwas Vogelleichtes in der Brust. Und Stolz: Ein Kind hatte für 5000 Menschen gesorgt!»