Von Rom über Bern ins Hürntal

Hoher Besuch aus Rom: Kardinal Mario Grech, Generalsekretär der weltweiten Bischofssynode, sprach im März in Bern über Synodalität. Und besuchte die Pfarrei Dagmersellen im Pastoralraum Hürntal.

 

Von Sylvia Stam |  15.04.2024

Kardinal Mario Grech (Mitte) im Gespräch mit dem Team aus Dagmersellen: Daniel Ammann, Mark Schlüssel, Irene Tschupp Bättig, Andreas Graf und Katharina Jost. Bild: Pastoralraum Hürntal

«Dass es Leute gibt, auch Lai:innen, die sich so engagieren, das hat den Kardinal beeindruckt», sagt Andreas Graf. Der Leiter des Pastoralraums Hürntal empfing zusammen mit seinem Team Kardinal Mario Grech. «Da sassen elf Leute an einem Tisch, darunter auch der Kirchenratspräsident und die Pfarreiratspräsidentin. Wir sind einander auf Augenhöhe begegnet.» Ziel des Besuchs, den Helena Jeppesen eingefädelt hatte, war es, dass Mario Grech die duale Struktur der katholischen Kirche Schweiz und das Pfarreileben in der Praxis kennenlernt. Jeppesen, die an der Bischofssynode vom letzten Herbst teilgenommen hatte, wählte dazu eine Pfarrei aus, die nicht von einem Priester geleitet wird. Es seien auch heikle Themen zur Sprache gekommen, etwa Kommunionfeiern am Weissen Sonntag oder das Fehlen eines erhöhten Priestersitzes im Altarraum, sagt Graf. «Die Begegnung fand in einer vertrauensvollen Atmosphäre statt, sodass wir solche Themen ansprechen konnten.» Der Kardinal sei insgesamt beeindruckt, aber auch erstaunt gewesen, weil er diese Art von Zusammenarbeit nicht kenne. Auch Graf bezeichnet die Begegnung als positiv.

Irritierende Rede

Ganz anders die Begegnung mit dem Kardinal am Tag davor in Bern. Hier löste Grech mit seiner Rede und seinen Antworten viel Irritation aus. Er war von den Schweizer Synodenteilnehmerinnen und -teilnehmern eingeladen worden, um sich mit Vertreter:innen der katholischen Kirche Schweiz über Synodalität auszutauschen.

«Ich würde lieber über Mission sprechen als über Synodalität», sagte er jedoch in seiner Eingangsrede. Und tatsächlich sprach er vor den rund 60 Anwesenden viel von «Feuer», «Mission» und «Evangelisation». Eine synodale Kirche sei «eine Kirche mit Einsatz für die Mission», so Grech. Letzteres bedeute: «den Menschen helfen, Jesus zu begegnen, mit Jesus in Kontakt zu treten». Geführt werden soll dieser Prozess durch den Heiligen Geist. Von diesem war in Grechs Ansprache viel die Rede. Synodalität bedeute, «dass der Heilige Geist präsent ist in allen Getauften».

Die Rede von Kardinal Grech löste in Bern Irrtiation aus. Quelle: Bild: Stefan Maurer

Dennoch ist für den Generalsekretär der Weltsynode klar: «Es gibt keine synodale Kirche ohne einen Bischof» und der Prozess verlaufe «unter der Leitung der Priesterschaft». Denn Aufgabe der Bischöfe sei es, «der Gemeinde zu helfen, die Stimme Gottes zu unterscheiden».

Die Rede löste bei nicht wenigen Teilnehmenden Irritation aus. «Mission und Evangelisation sind für mich schwierige Begriffe», sagte die Luzerner Synodalrätin Renata Asal-Steger gegenüber dem Pfarreiblatt. «Es muss eine Freiheit da sein, zum Glauben zu kommen. Für mich ist es ein Geschenk. Glaube kann man nicht überstülpen.» Luc Humbel, Präsident der katholischen Landeskirche Aargau, zeigte sich ernüchtert, «weil die Rede wenig Bezug hatte zu dem, wie wir als Kirche Schweiz unterwegs sind».

Kluft zwischen Rom und Bern

Wie gross die Kluft zwischen Grechs Worten und den brennenden Fragen der Schweizer Kirchenvertreter:innen ist, wurde am Nachmittag deutlich, insbesondere, als es um die Gleichberechtigung der Frauen und um demokratische Strukturen ging. Das Plädoyer für die Teilhabe von Frauen an Diensten, Ämtern und Entscheidungsprozessen, eindringlich vorgebracht von Priorin Irene Gassmann, beantwortete der Kardinal mit dem Hinweis, die Kirche müsse «tiefgreifend theologisch nachdenken, wie wir Räume schaffen für den Beitrag, den Frauen der Kirche bringen können». Eine Aussage, die bei manchen Anwesenden ein Kopfschütteln auslöste. Insgesamt «vermisse ich in den Statements, die ich heute gehört habe, die Spiritualität», fasste der römische Kardinal seinen Eindruck des Nachmittags zusammen.

Den Geist ernst nehmen

Dass er damit den Anwesenden quasi das «Katholisch-Sein» absprach, kam nicht gut an. «Das hat mich persönlich verletzt», sagte Asal-Steger. «Das Feuer, von dem er immer sprach, das in uns brennen soll, hat er uns ein Stück weit abgesprochen. Ich hätte eine andere Offenheit erwartet.»

Rund 60 Vertreter:innen der Kirche Schweiz waren zum Anlass eingeladen. Quelle: Bild: Stefan Maurer

«Die Kirche bewegt sich von verschiedenen Orten aus zum Zentrum, das Christus ist», meinte Nicola Ottiger, Leiterin des Ökumenischen Instituts an der Universität Luzern. «Wird das auch gesehen oder wird latent unterstellt, dass wir hier in der Schweiz nicht mehr ‹richtig› glauben?» Sie nahm den Kardinal beim Wort: «Wenn man den Heiligen Geist ernst nimmt, muss man auch die Vielfalt würdigen. Mit Hilfe des Heiligen Geistes lässt sich mutig mit Synodalität experimentieren und etwas wagen.»

Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass der Besuch des Kardinals in Dagmersellen so positiv verlaufen ist. «Vielleicht wäre die Begegnung mit dem Kardinal in Bern anders ausgefallen, wenn der Besuch an der Basis zuerst stattgefunden hätte», mutmasste Andreas Graf.