«Weniger ist mehr Lebensglück»

«Weniger ist mehr» lautet das Motto der Fastenaktion. Mit der Frage «Wie wenig ist genug?» ist auch der Berner Künstler Michael Schoch (46) unterwegs. Letztes Jahr tourte er damit durch die Schweiz.

Von Sylvia Stam |  29.02.2024

Ein Künstler unterwegs fürs Klima: Michael Schoch. | Bild: Nicole Philipp

Sie sind mit der Frage «Wie wenig ist genug?» durch die Schweiz geradelt. Haben Sie einfach wildfremde Menschen angesprochen?
Michael Schoch:
Ich habe beispielsweise an der Velowallfahrt der Landeskirche Luzern nach Einsiedeln teilgenommen. Velofahren ist eine wunderbare Gelegenheit, um locker nebeneinander zu pedalen, in die Landschaft zu schauen, und plötzlich spricht man über Entwicklungshilfe. Und schon ist man beim Thema, dass die einen viel zu wenig haben, während wir hier unter einer Überlast an Stress oder an Dingen leiden, von denen wir nicht wissen, wo wir sie versorgen sollen. 

Wie haben die Leute auf diese Thematik reagiert?
Das Gespräch kommt oft rasch an einen Punkt, an dem jemand leicht stöhnt: «Eigentlich ist mir alles etwas zu viel: schlechte Nachrichten, Stress, Termine.» Dann steht die Frage im Raum: «Was brauchen wir wirklich für ein gutes Leben?»

Wie lautet Ihre Antwort?
Als ich in Einsiedeln ankam, habe ich im Pilgerzimmer des Klosters übernachtet. Ich fragte eine der Pilgerinnen, wie wenig denn genug sei. Sie sagte: «So viel, wie in meinen Rucksack passt.» Das ist ein wunderschönes Bild: Genug ist, was wir zu tragen vermögen, was die Erde zu tragen vermag. Das ist nicht für alle dasselbe.

Wann kippt das, was ich brauche, in Luxus? Gibt es da ein Kriterium?
Ich finde es wichtig, das als persönlichen Prozess der Erleichterung, der Befreiung, der Selbsterkenntnis anzuschauen. Dieser Prozess interessiert mich, da kommen für mich ganz andere Antworten heraus als bei jemand anderem.

Was versprechen Sie selber? 
Ich möchte das Smartphone nur noch bewusst als Werkzeug in ganz bestimmten Situationen benutzen. Dazu habe ich mir auf Tutti ein Seniorenhandy gekauft, das nur telefonieren kann, und eine analoge Agenda. So bin ich erreichbar, aber ich bin nicht abgelenkt von all den Möglichkeiten, die das Smartphone bietet. 

Auch die aktuelle Fastenkampagne steht unter dem Motto «Weniger ist mehr». Was sagen Sie zum Plakat mit dem Einkaufswagen und der Schubkarre?
Mir gefällt, wie das Plakat die Ungerechtigkeit auf der Welt anspricht. Während im globalen Norden Menschen und Natur unter dem übersteigerten Konsum ächzen, ist es Realität, dass es im globalen Süden zu wenig von allem gibt. Das wird auf diesem Plakat stimmig visualisiert. Wir sind Meister:innen darin, das in unserem Alltag auszublenden. 

Warum fällt uns Verzicht so schwer? 
Suffizienz – also die Frage, wie viel wir für ein gutes Leben wirklich brauchen – fristet ein Mauerblümchendasein, weil niemand anderen gern sagt: «Du solltest verzichten, etwas weniger wäre gut.» Das ist für die Wirtschaft wie für die Politik unattraktiv. Dabei ist Suffizienz der einfachste Weg: Etwas wegzulassen, ist gratis, braucht keine Technologie und ich kann heute damit beginnen. 

Ist Verzicht nicht auch ein Gewinn, wie die Fastenkampagne formuliert?
Auf jeden Fall. Die Sehnsucht, weniger To-dos und mehr Zeit zu haben, um auf dem Bänklein vor dem Haus zu sitzen, habe ich bei sehr vielen Menschen gespürt. Weniger Herumschleppen, weniger Abhängigkeiten, dafür eine gewisse Freiheit. Solche Freiheit erlebe ich, wenn ich mit dem Velo unterwegs bin: Ich nehme die Natur und die Umgebung wahr, ich kann an einem schönen Ort einfach absteigen. Diese Freiheit erfüllt mich mit Glück. Da könnte man sogar sagen: Weniger ist mehr Lebensglück.

Sie sehen den Slogan auch kritisch.
Muss es denn immer «mehr» sein? Gewinn ist positiv, Verzicht ist negativ besetzt. Wenn man den Slogan so versteht, kommen wir aus diesem Konzept nicht raus. Manchmal ist mehr tatsächlich besser. Und das wird auf dem Plakat der Fastenaktion schön thematisiert. Aber bei uns müsste man eigentlich sagen: Weniger ist weniger, und das ist gut so. 

Teilt Ihre Familie Ihre konsumkritische Ansicht?
Ja und nein. Mein dreizehnjähriger Sohn interessiert sich sehr für «mehr». Er möchte so viel Geld wie möglich verdienen. Damit spiegelt er, was in unserer Gesellschaft abläuft. Meine zehnjährige Tochter verkauft im Quartier Steine, Schneckenhäuschen oder Guetzli und legt jeden Franken für den WWF auf die Seite. Es liegt ihr am Herzen, die Natur und Tiere zu schützen. 

Wie gehen Sie damit um?
Ich habe grosses Verständnis, dass mein Sohn als Jugendlicher das Verhalten unserer Gesellschaft spiegelt. Ich verurteile ihn nicht dafür und lasse ihn seinen Weg gehen. Aber es ist für mich eine Herausforderung, wenn ich sieben verschiedene Paar Turnschuhe sehe, aus China eingeflogen, und jeder einzelne tut mir im Herzen weh. Immerhin wird unter den Jugendlichen auch viel getauscht.
 
Fühlen Sie sich manchmal ohnmächtig angesichts der Klimasituation?
Ich nehme die Klimasituation sehr ernst, es ist beruflich und privat eines meiner wichtigsten Themen. Aber ich entscheide bewusst, welche und wie viele Nachrichten ich konsumiere, und ich fokussiere auf das, was ich selber tun kann. So ist es mir bis jetzt gelungen, in einer gesunden Betroffenheit damit umzugehen. Dadurch bin ich voll positiver Energie und freue mich über die kleinen Schritte, die mir gelingen. 

Der Singer-Songwriter, Schauspieler und Geschichten-Erzähler Michael Schoch arbeitet derzeit an seinem Soloprogramm «Wie wenig ist genug?». Sein Künstlername 
ist Dr. Chopf. | drchopf.ch

 

Die Ökumenische Kampagne 2024

«Weniger Konsum = weniger CO2-Ausstoss = weniger Klimakatastrophen. Das bedeutet mehr Klimagerechtigkeit = mehr Ernte = mehr Sicherheit.» Das 1,5-Grad-Ziel bis 2040 sei möglich, wenn alle ihren Beitrag leisten. So erklärt Fastenaktion das Plakat und den Slogan der Fastenkampagne. Sie dauert noch bis am 31. März.