Wenn man sein Herz verschenkt

Was bedeutet es, mit einem gespendeten Herz zu leben? Was bedeutet eine Organspende für die Angehörigen des/der Spender*in? Warum es wichtig ist, sich zu Lebzeiten mit dem Thema Organspende zu befassen.

Von Dominik Thali/Sylvia Stam |  01.04.2022

Organtransplantationen finden in den Spitälern Bern, Basel, Zürich, St. Gallen, Genf und Lausanne statt. Das Luzerner Kantonsspital übernimmt für die Zentralschweiz die Aufgabe eines Organentnahmespitals. Bild: Adobe Stock

«Das war wie ein zweiter Geburtstag, ich bin ein zweites Mal auf die Welt gekommen», sagt Eligius Schifferle (78) aus Hochdorf. Der frühere Coiffeur lebt seit 2011 mit einem gespendeten Herz. Weil die künstliche Herzklappe und der Herzschrittmacher nicht genügten, blieb nur noch eine Herztransplantation. «Meine weiteren Organe waren alle noch gut», so Schifferle weiter. «Ohne diesen Umstand wäre ich nicht auf die Liste gekommen.» 14 Monate musste er auf das Spenderorgan warten, eine «relativ lange Wartezeit», wie er sagt. Heute aber hat er das Gefühl, es sei «wie mein eigenes Herz».

Dankbar für jede Sekunde: Eligius Schifferle. | Bild: Dominik Thali

Für manche Menschen reiche die Zeit, die sie auf ein Spenderorgan warten müssten, jedoch nicht, fügt er an. Tatsächlich spendeten im Jahr 2021 166 Personen Organe, während am Ende desselben Jahres 1434 Menschen auf ein Spenderorgan warteten, ist dem Jahresbericht von Swisstransplant zu entnehmen. Um dieses Missverhältnis zu verringern, schlägt der Bund eine Gesetzesänderung vor, über die am 15. Mai abgestimmt wird.

Entscheidung zu Lebzeiten

Während sich die Abstimmungsdebatte vor allem darum dreht, ob Menschen einer Organspende explizit zustimmen oder explizit widersprechen sollen, klingt es an der Front sehr pragmatisch: «Wichtig ist, dass Menschen sich zu Lebzeiten überhaupt Gedanken machen, ob sie ihre Organe spenden möchten oder nicht», sagt Jeannine Bienz-Albisser. Sie ist Mitglied eines siebenköpfigen Teams des Organspendenetzwerks Luzern. Dieses arbeitet mit Swisstransplant zusammen und begleitet die Angehörigen im ganzen Prozess einer Organentnahme. «Wenn der Wille der verstorbenen Person bekannt ist, erleichtert das unsere Arbeit und die Situation für die Angehörigen enorm», erzählt die ausgebildete Rettungssanitäterin. Denn die Frage nach einer allfälligen Organspende könne Angehörigen, die soeben die Todesnachricht erhalten hätten, den Boden unter den Füssen wegziehen.

Abschied nehmen

Vor einer Organentnahme können die Angehörigen laut Bienz so lange beim Patienten, der Patientin bleiben, wie sie möchten, und sich auch nach der Operation nochmals vom Leichnam verabschieden. «Man sieht dem Körper nichts an, er wird wie bei jeder Operation sorgfältig zugenäht», wirkt die Fachfrau allfälligen Ängsten vor Unansehnlichkeit entgegen.

Nach der Organentnahme muss es rasch gehen. | Bild: Swisstransplant

Doch können wir wirklich wissen, was in Patient*innen, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, gefühlsmässig vorgeht, wenn ihnen Organe entnommen werden? «Aus medizinischer Sicht sind diese Menschen tot», sagt Bienz. Sie begleitet Angehörige bis zu drei Jahre nach der Organentnahme. «Auf Wunsch erfahren diese auch, wie es den Menschen geht, die ein Organ empfangen haben.»

Eligius Schifferle weiss nichts über den Menschen, der ihm sein Herz geschenkt hat, ausser, dass die Person um die 50 Jahre alt war. Heute schaut er das Leben intensiver an als vorher. «Jetzt ist man dankbar für fast jede Sekunde, fast jeden Tag. Ich bete auch jeden Tag und bin dankbar, dass ich das überhaupt bekommen habe.»

Christliche Sicht

Wie aber sieht das Thema Organspende vor einem christlichen Hintergrund aus? «Für Christinnen und Christen ist das Leben ein Geschenk Gottes», sagt der Theologe Thomas Wallimann, Leiter von «ethik22», dem Institut für Sozialethik. Der Körper sei somit kein persönlicher Besitz und das ewige Leben nicht an körperliche Unversehrtheit gebunden. Der Katechismus nennt die Organspende denn auch eine «edle Tat», die allerdings nur dann «sittlich annehmbar» sei, wenn die Person der Spende zugestimmt habe.

Spende ist freiwillig

Kirchliche Kreise betonen genau diesen Punkt der Freiwilligkeit bei der Abstimmung vom 15. Mai und plädieren daher gegen die Gesetzesänderung. «Das Spenden von Organen ist ethisch wünschenswert, da es Menschen von Leiden befreien und das Leben von Menschen verlängern kann», sagt Peter G. Kirchschläger, Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik an der Universität Luzern. Es bestehe aber keine moralische Pflicht dazu, weil jeder Mensch selber über den eigenen Körper entscheiden könne. «Eine Organspende als Akt der Nächstenliebe muss also freiwillig erfolgen», so Kirchschläger, der sich im Referendumskomitee engagiert und die Gesetzesänderung ablehnt.

Wallimann warnt vor einer rein utilitaristischen Argumentation, welche dem Ziel, mehr Organe zu erhalten, alles unterordne, «also eben auch die Würde des Menschen bzw. sein vermuteter Unwille zu spenden». Die Widerspruchslösung laufe Gefahr, den Menschen zu instrumentalisieren, indem sie den gesellschaftlichen Nutzen vor den Schutz der Würde stelle.

Auch die Bioethikkommission der Schweizer Bischofskonferenz hält die Widerspruchslösung für weniger ethisch als das aktuelle System und lehnt sie darum ab. Sie hatte als dritte Variante die sogenannte «Erklärungsregelung» ins Spiel gebracht, wonach die Bevölkerung regelmässig aufgefordert würde, der Organspende zu widersprechen, ihr zuzustimmen, den Willen dazu nicht zu äussern oder den Entscheid an eine Vertrauensperson zu delegieren.

Diese Variante würde jedoch erst bei einer Annahme des Referendums allenfalls wieder Thema.

Erklärvideo des Bundes zur Abstimmungsvorlage:

 

Ausdrücklich zustimmen oder widersprechen

Bisher kommt eine Organspende nur in Frage, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Spende zugestimmt hat. Ist dies nicht der Fall, liegt der Entscheid bei den Angehörigen, daher spricht man von «erweiterter Zustimmungslösung».

Neu schlägt der Bund eine Gesetzesänderung vor: Demnach gilt «jede Person als Spenderin oder Spender, ausser sie hat zu Lebzeiten festgehalten, dass sie nicht spenden will». Die Angehörigen sollen auch künftig einbezogen werden, «falls jemand seinen Willen zu Lebzeiten nicht festgehalten hat» (erweiterte Widerspruchslösung). Sind keine Angehörigen vorhanden und liegt keine Willensäusserung vor, dürfen keine Organe entnommen werden.

Organspenden sind weiterhin nur möglich, wenn Personen im Spital einen Hirntod infolge Hirnschädigung oder Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden. Verstirbt jemand ausserhalb des Spitals, ist eine Organspende nicht möglich.

Die Gesetzesänderung ist ein indirekter Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative, die daraufhin zurückgezogen wurde. Gegen den Vorschlag des Bundes wurde das Referendum ergriffen. Daher kommt es am 15. Mai zur Abstimmung über das Transplantationsgesetz.