«Wir arbeiten für den Menschen»
Sr. Samia Jreij leitet im syrischen Homs eine Tagesstätte für Menschen mit Behinderung. Und sie versucht, Junge, die auswandern wollen, zum Bleiben zu bewegen.

Sr. Samia Jreij mit einem Kind, das ihre Tagesstätte besucht. | Bild: Kirche in Not
«In unserem Land gibt es nicht viele Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, das ist keine Priorität des Staates», sagt die syrische Ordensfrau Samia Jreij. «Junge Menschen mit Behinderungen gehen nicht zur Schule, sondern bleiben zu Hause.» Aus diesem Grund gründete sie 2006 in der Altstadt von Homs eine Tagesstätte für Menschen, die an Trisomie, Autismus und anderen Beeinträchtigungen leiden. Jreij ist Oberin einer syrischen Gemeinschaft mit ignatianischer Spiritualität.
Ihr Ziel sei es, Menschen mit geistigen Behinderungen eine angepasste Ausbildung zu bieten, um nicht nur ihre persönliche Entwicklung, sondern auch ihre langfristige Integration in die syrische Gesellschaft zu fördern, erklärt sie bei einem Besuch Mitte April in Lausanne. Mit einem Programm aus pädagogischen und sozialen Aktivitäten, das auf alle Stufen zugeschnitten ist, versucht das Zentrum, ihre Selbständigkeit zu fördern und ihre Talente zu entwickeln.
Religion unwichtig
Das Zentrum beherbergt derzeit 140 Personen, Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 15 Jahren, die jeden Morgen zum Unterricht kommen, sowie Menschen bis 30 Jahre, die nachmittags in den Werkstätten Holz bearbeiten oder Kerzen herstellen. Für Mädchen gibt es ausserdem Nähwerkstätten. Die Tagesstätte richte sich «sowohl an Christ:innen als auch an Muslim:innen», erklärt Schwester Samia. «Wir arbeiten für den Menschen, unsere Mission ist universell.»
Sr. Samia weist darauf hin, wie wichtig es ist, mit den Eltern und Geschwistern der Menschen mit Behinderung zu arbeiten, da die Tendenz besteht, sie vor den Augen der anderen zu verstecken. «Es braucht viel Arbeit, die Eltern dazu zu bringen, die Person mit ihrer Behinderung zu akzeptieren.» Darum hebe das Zentrum die Fähigkeiten dieser Menschen hervor und ermögliche ihnen eine Zukunft in der Gesellschaft.
Instabile Situation
Zur aktuellen politischen Situation sagt die Ordensfrau: «Als Christ:innen werden wir heute in Syrien nicht verfolgt, aber wir leben in Ungewissheit, die Situation ist instabil und kompliziert. Viele Christ:innen kommen zu uns, damit wir ihnen bei der Auswanderung helfen», gesteht Schwester Samia.
«Das Leben ist schwierig, es gibt viel Arbeitslosigkeit, man hat die Mitglieder der Armee und der Verwaltung entlassen. Die Staatsangestellten haben seit drei Monaten keinen Lohn mehr erhalten. Strom- und Heizungsausfälle sind eine Realität.»
Um die Not zu lindern, hat Schwester Samia mit Hilfe von Vereinen in der Altstadt ein medizinisches Zentrum mit Ärzt:innen, Apotheker:innen, Krankenpfleger:innen und Psycholog:innen eingerichtet, «um die Seelen wieder aufzubauen». Diese Klinik hilft bei der Beschaffung von Medikamenten für mittellose Kranke und finanziert deren chirurgische Eingriffe. Sr. Samia und ihre Mitstreiter:innen versuchen, den Wiederaufbau des Landes durch Bildungs- und Sozialprojekte zu unterstützen. Und sie hoffen, dass es ihnen gelingt, «die jungen Leute, die vom Auswandern träumen, zum Bleiben zu bewegen».